Ohrenzeugen
zehn!«
»Und warum?«, fragte Heiko.
»Das wüsste ich auch gern. Die Freundschaft mit dem Winterbach war ihm sehr viel wert. Er hätte ihn gern als Schwiegersohn gehabt. Und irgendwie hat er dem vertraut.«
»Ärgert Sie das?«, fragte nun Lisa.
Frau Weidner zog die dünnen Augenbrauen hoch.
»Also ich sag Ihnen mal was: Wegen dem Geld bring ich keinen um, und schon gar nicht meinen eigenen Mann!«
»Aber der Herbert«, schlug Heiko vor. »Hätte der vielleicht?«
Die Bäuerin nickte nachdenklich. »Den solltet ihr tatsächlich mal fragen.«
Der Scanner piepte. Das unerbittlich grelle Licht bohrte sich in ihr Bewusstsein und machte sie hellwach. Dabei war ihr gar nicht nach Wachsein. Am liebsten hätte sie sich eine Decke über den Kopf gezogen und sich zusammengerollt wie ein Baby. Dann hätte sie die Wärme genießen und sanft einschlafen können, endlich.
Nicht mehr daran denken müssen, schlafen, schlafen. Piep, piep, piep, machte der Scanner. Ihre Bewegungen waren mechanisch. Käse, Fleisch, Fruchtzwerge. Dann kam die Trennleiste. Die Waren des nächsten Kunden.
»27,83«, sagte Silke Weidner automatisch, nahm einen 50-Euro-Schein entgegen und wechselte. »Danke, war alles in Ordnung?«
Sie hörte nicht wirklich zu, als der Kunde »Ja, danke« antwortete. Schon tippte sie die Wagennummer der nächsten Kundin in die Kasse. Nicht, dass sie ein besonders tolles Verhältnis zu ihrem Vater gehabt hätte. Ganz bestimmt nicht. Im Gegenteil. Und manchmal, zum Beispiel kurz nachdem sie ihren Ex verlassen hatte oder als sie offensichtlich schwanger war und sich geweigert hatte, zu sagen von wem, da hatte er sie richtig, richtig mies behandelt. Sie eine Hure und sonst was geheißen. Und da war sie so wütend gewesen, dass sie ihm den Tod gewünscht hatte. Zweimal. Aber sonst nicht. Und ihr Vater war eben, wie er war. Er war so erzogen. Und er konnte nicht über seinen Schatten springen. Piep, piep, piep. Salami, Apfelmus, Backoblaten. Die Kasse öffnete sich und Silke erhielt einen weiteren 50-Euro-Schein. Gedankenverloren wechselte sie. Trotzdem hatte sie ihn geliebt. Er war eben ihr Vater.
Sie klappte den Deckel zu und sagte automatisch: »Danke, war alles in Ordnung?«
Die Kundin sog scharf die Luft ein und beschwerte sich: »Ich krieg’ aber noch zehn Euro!«
»Oh, das tut mir leid«, bedauerte Silke. »Sie müssen entschuldigen. Ich bin heute ein bisschen durcheinander.«
Die Frau lächelte gnädig.
»Dieser Karl ist ja schon eher simpel gestrickt«, sagte Lisa, als sie wieder im Auto saßen.
Heiko stimmte zu. »Deshalb versteht er sich auch so gut mit Herbert!«
»Wir sollten dem tatsächlich mal einen Besuch abstatten, meinst du nicht auch?«, fragte Lisa. »Aber erst morgen«, Heiko lächelte Lisa an. »Was machst du denn eigentlich immer abends?«
Lisa dachte nach. Sollte sie ehrlich sein und ›nix‹ sagen? Seit sie in Crailsheim wohnte, sah es mit Weggehen ziemlich schlecht aus. Noch dazu, weil sie schlichtweg keine Freunde hatte. Ihre Freunde wohnten alle fast 500 Kilometer entfernt.
Sie entschloss sich dann zu: »Och, mal dies, mal das.«
»Hm«, machte Heiko und Lisa verstand nicht so recht, was er damit meinte. Wollte er etwa ein Date mit ihr? Wenn ja, dann wusste sie nicht, wie sie das finden sollte. Die Sache mit Stefan war zwar eigentlich schon gegessen, aber irgendwie war sie noch nicht bereit für etwas Neues. Es müssten noch ein paar mehr Leute dabei sein.
Und sie würde ganz bestimmt nicht die Initiative ergreifen.
Eine Stunde später war Heiko allein. Er lenkte den M3 die Cröffelbacher Steige hinab. Früher hatte diese Serpentinenstrecke von ihm den Spitznamen ›Brechsteige‹ bekommen, weil ihm als Kind regelmäßig schlecht geworden war, wenn sein Vater die Familienkutsche nach Cröffelbach gefahren hatte.
Unten angekommen, war er bei seiner Oma immer erst mal auf dem Klo verschwunden und hatte gebrochen.
Seine Oma lebte Gott sei Dank noch. Sie war eine sehr resolute und selbstbewusste Frau. Einmal hatte sie sogar beim Holzfällen zusammen mit seinem Onkel aus Versehen den Berg angezündet, weil ein Baumstamm auf eine Stromleitung gekracht war.
Und sie sagte immer ›ihr Sach‹. Diese hohenlohische Wendung bedeutete, dass sie immer sagte, was sie dachte. Ehrlich heraus, auch wenn es manchmal unangenehm und vielleicht sogar ganz und gar unpassend war. Und so war es Heiko am liebsten. Er mochte Schleimer nicht und verabscheute Heuchelei. Er war selbst ein
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