Ohrenzeugen
Schwarz, denn beim Sieger gab es nur schwarzen Kaffee.
»Awwa«, machte Sieger, »und?«
»Was?«, fragte die Oma und trank einen Schluck Kaffee. Heiko befand, dass sie mal wieder gekämmt gehörte.
»Ein Mord, Oma!«, wiederholte er etwas lauter. »Awwa!«, sagte nun auch die alte Frau. »Und?«
»Noch nix!«
Sieger machte »Hm« und biss nun endlich in seine Butterbrezel. Auch Heiko widmete sich konzentriert dem leckeren Laugengebäck. Sie schwiegen aber nur kurz und tranken dann alle gleichzeitig aus ihren Tassen, um sie kurz darauf ebenso gleichzeitig wieder abzustellen. »Und des Mädle?«, fragte sein Onkel weiter.
»Lisa?«
»Deine Kollegin halt!«
»Was für a Mädle?«, wollte die Oma wissen.
»Ach, eine Kollegin, Oma!«, erläuterte Heiko, wieder etwas lauter. Komisch, solche Sachen verstand sie immer.
»Und? Wie is die so?«
»Nett, Oma!«
»Bringsch se halt amol mit!«
»Ja, das– ich weiß au net!«
»Gell, schwierig mit den Weibern!«, meinte Sieger.
»Ja, man hat’s nicht leicht!«, bestätigte Heiko.
Sein Onkel hatte mit ›den Weibern‹ auch nur Pech gehabt und irgendwann resigniert.
»Kommst du am Samstag mit in den Wald?«, fragte Sieger und Heiko sagte gern Ja. Der Wald war genau richtig.
Donnerstag, 16. April
Als sie zurück ins Büro kamen, wirkte Simon seltsam unruhig. Schweiß stand auf seiner Stirn, er strich sich nervös durch die 3-Wetter-getaftete Frisur, rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her und blickte gehetzt um sich.
»Is’ irgendwas?«, wollte Heiko wissen, erntete aber nur ein ›Noinoi‹. Dann ist ja gut, dachte sich Heiko und verschwand aufs Klo.
Und so entging ihm auch die folgende Szene. Simon stand vom Stuhl auf und stolzierte um den Tisch herum, um sich schließlich lässig daranzulehnen.
»Äh, Lisa«, begann er dann und verschränkte die Arme. »Ii wollt di frooga, ii moin, hättescht du Luscht, mit mir amol wegzganga?«
Lisa blieb wie angewurzelt stehen.
»Wie bitte?«
»Äh, ob du mit mir ainmal weggähen würdescht. Heut Abend zum Baischpiel!«, wiederholte Simon mühsam, so gut es ging, auf Hochdeutsch.
Lisa unterdrückte ein Grinsen. Wollte der Schwabe ein Date mit ihr? Er hätte keine Chance bei ihr, aber vielleicht war gerade das gut. Ein Anti-Mann, ein Neutrum, einer, der sie nicht im Mindesten anmachte, auch nicht unter Aufbietung all ihrer Fantasie.
»Einfach so?«, hakte sie also nach.
»Einfach so.« Simon ließ seine Arme an die Seite klatschen.
»Warum nicht«, sagte Lisa. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Heiko neben sie getreten war.
»Oh, ihr wollt weggehen? Darf ich mit?«, fragte er nun mit Kleinjungen-Stimme.
Simon zog einen Schmollmund. Verdammt, das Date mit Lisa war schon fast in trockenen Tüchern gewesen!
»Aber klar doch«, antwortete Lisa sofort. »Du hast doch nichts dagegen, Simon?«
»Noinoi«, log der Schwabe und lächelte dünn.
»Wir können auch noch Uwe fragen, ob er mit will!«, schlug Lisa vor.
Heiko dachte kurz nach. Wenn es sein musste. Aber immerhin. Alles war besser, als Lisa allein mit Simon in irgendeinem Schicki-Micki-Restaurant rumhocken zu lassen.
Herbert Winterbach wohnte im alten Rathaus. Ein Backsteinbau an der Kirchberger Straße. Silvios Kneipe war drei Häuser weiter. Wie praktisch für Herbert!
Gegenüber verlief der Schmiedebach, gesäumt von Kastanienbäumen, unter denen die Kinder im Herbst die glatten, braunen Früchte sammelten, um sie zu allen möglichen Basteleien zu verarbeiten, die ihre Eltern dann auf der heimischen Fensterbank aufstellen mussten.
Der Eingang lag auf der Nordseite und wirkte sehr kalt. Sie klingelten. Es dauerte eine Weile, bis von innen schlurfende Schritte zu vernehmen waren. Mehrere Schlüssel wurden herumgedreht, eine Kette entriegelt. Dann erschien Herberts rotes Gesicht in der Tür. »Ou, Bollizei«, sagte er und musterte Lisa amüsiert.
Lisa ignorierte die Ironie und schritt hoch erhobenen Hauptes grußlos an Herbert vorbei, dicht gefolgt von ihrem Kollegen, der von Winterbach offenbar als ›richtiger Polizist‹ anerkannt wurde.
Sie machten es sich im Wohnzimmer bequem. Eine abgewetzte olivgrüne Couchgarnitur stand in der Ecke. Über dem Sofa hing ein blutrünstiges Schlachtgemälde in Öl, links davon ein spinnwebverhangenes Hirschgeweih und rechts eine historische Flinte.
Der Couchtisch war niedrig, mit beige-braunen Kacheln als Tischplatte. Gegenüber befand sich ein enormer Plasmafernseher, auf dem ›Richterin Barbara Salesch‹
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