Ohrenzeugen
überreagiert?
Hätte sie die Beziehung retten sollen, retten müssen?
Sie schüttelte den Kopf. Wer weiß. Beziehungen waren wie Wege. Man musste sich ständig entscheiden, welche Abzweigung man nimmt. Und oft konnte man nicht mehr zurück. Verdammt. Wollte sie zurück? Zurück zu Stefan? Was wollte sie überhaupt hier in Hohenlohe, in diesem Kaff, in tiefster Wildnis, bei diesen Menschen?
Bei den Menschen, die sie doch tief in ihrem Inneren sehr schätzte und deren Art ihr lieber war als der platte Ruhrpotthumor und die Anonymität der Großstadt.
Sie nahm ein Papierhandtuch und wischte sich die Wimperntuschereste und das restliche Wasser ab. Dann holte sie ihren Lippenstift aus der Tasche und zog die Lippen sorgfältig nach. Sie stand an einer Weggabelung, dessen war sie sich mehr als bewusst. Und egal, wie sie sich entscheiden würde, sie würde nicht zurück können. Deshalb musste sie genau überlegen, sehr genau.
Lisa kam zurück. Er musste sehen, dass sie geheult hatte. Trotzdem sah sie ihm herausfordernd ins Gesicht.
»Geht’s wieder?«, fragte ihr Ex mitfühlend, was sie maßlos ärgerte. Sie hob trotzig den Kopf. Stefan räusperte sich. Komische Situation, fand Lisa.
»Wir können heute Mittag zusammen essen gehen«, schlug sie ihm dann vor. Mehr als die Mittagspause würde er nicht bekommen. Vorerst nicht.
Ihr Ex nickte eifrig. »Danke.«
Lisa taxierte ihn. Er hatte sich einen Anzug angezogen. Extra. Er sah gut aus im Anzug. Und er wusste, dass er ihr im Anzug gefiel. Er hatte das für sie gemacht.
Sie selbst hatte sich jedoch betont dürftig aufgehübscht. Eigentlich war sie einfach in Arbeitsklamotten erschienen. Sie trug Jeans, einen schlichten Pullover und dezentes Make-up. Sollte er sich ja nichts einbilden. Sie war sich der ganzen Sache sowieso nicht sicher.
Es war nur eine Option und sie hatte ein schlechtes Gewissen wegen Heiko. Sie würde ihm alles erklären müssen, unter keinen Umständen wollte sie ihn verletzen.
Jedenfalls saßen sie und ihr Ex schließlich im Restaurant des Hotels Post Faber. Ob es richtig oder falsch war, wusste sie nicht. Sie würde sich anhören, was er ihr zu sagen hätte. Aus Neugier und weil sie so nett war. Genau, nur deshalb.
»Du glaubst gar nicht, wie sehr ich dich vermisst habe«, schmalzte Stefan und ergriff theatralisch ihre Hand. Lisa entzog sie ihm sofort und führte ihr Glas Wein zum Mund. Dann stellte sie es ab.
»Also hör mir gut zu«, sagte sie. »Ich brauche kein blödes Geseiere von dir, das nehme ich dir nicht ab. Lass uns doch Tacheles reden. Was ist denn nun mit deiner Svetlana? Hat sie dich verlassen?«
Stefan schluckte und knetete seine Hände. Der Kellner, der ihre Bestellung aufnahm, kam ihm gerade recht. Stefan bestellte die ›Forelle Müllerin‹ und Lisa einen Salat mit Putenstreifen. »Und?«, fragte sie dann.
Stefan schluckte wieder. Er schwitzte. Lisa genoss es, ihn leiden zu sehen. Er sollte noch viel mehr leiden, jawohl!
»Ich liebe sie nicht«, brachte er nun hervor, »und mit ihr was anzufangen, war der größte Fehler meines Lebens!«
Lisa verdrehte die Augen. »Ja, innere Stimmen haben dich gezwungen, mit ihr ins Bett zu steigen«, meinte sie nun mit einem spöttischen Unterton.
»Nein, es war nur, sie hat mich angemacht und…«
»Und du warst ihr hilflos ausgeliefert. Womöglich konntest du gar nichts dafür! Womöglich hat sie dich verhext?«
Stefan trank einen Schluck Wein. »Gut, der Wein, oder?«
Lisa verzog das Gesicht und schwieg eisern.
»Es war meine Schuld, Lisa, ganz allein meine Schuld. Aber so ist das eben mit den langjährigen Beziehungen! Es schleicht sich Routine ein und dann kommt etwas Neues, Aufregendes, und man gerät in Versuchung.«
»Ja, und dann macht man das, was der Schwanz einem sagt!«, höhnte Lisa gerade so laut, dass nur Stefan es hören konnte.
So ging es weiter, bis schließlich das Essen kam. Sofort setzten beide ein freundliches Lächeln auf und bedankten sich mit einem ›Das sieht aber toll aus‹ beim Kellner.
Die nächsten fünf Minuten konzentrierten sie sich ganz aufs Essen.
Dann fing Stefan wieder an: »Also, was passiert ist, kann ich nicht ändern. Ich würde es sofort tun, wenn das möglich wäre. Aber was ich kann, ist, dir zu sagen, dass ich dich liebe, immer noch, und ich werde dich immer lieben. Und ich will mit dir zusammen sein, Lisa, für immer!«
Lisa legte die Gabel weg und sah ihn an. Er sah ehrlich aus. Aber sie wusste, dass er das gut
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