Oksa Pollock. Die Unverhoffte
mich. Außerdem merkte man sehr bald, dass ich besondere Anlagen mitbekommen hatte.«
»Dann bist du also ein Feenmann?«, unterbrach ihn Oksa und sprang fast aus ihrem Sessel. »Ein FEENMANN!«
Die Offenbarung der Singenden Quelle
A
bakum strich sich angesichts dieser Bemerkung schmunzelnd über den Bart.
»So habe ich das eigentlich noch nie betrachtet. Aber warum nicht? Meine Eltern sagten immer, ich sei ein Zauberer. Und so sehen es auch deine Großmutter, dein Vater und Gus’ Eltern, die später von meiner Herkunft erfahren haben. Doch ich muss zugeben, die Vorstellung, ein Feenmann zu sein, gefällt mir.«
»Aber woher weißt du das alles? Woher weißt du, dass deine Mutter eine Alterslose Fee war?«
»Ich kann mich an meine Geburt erinnern«, erwiderte der alte Mann schlicht. In seinen Augen lag ein intensiver, ergreifender Glanz.
»Abakum, entschuldige, aber niemand kann sich an seine Geburt erinnern«, widersprach Oksa heftig.
»Stimmt, das Erinnerungsvermögen reicht bei niemandem so weit zurück. Nicht mal bei einem Feen-Hasen-Mann«, sagte er mit einem Augenzwinkern. »Nein, ich hatte einfach nur das Glück, dass ich ausgelost wurde, um zur Singenden Quelle zu gehen.«
»Ausgelost?«, fragte Oksa.
»Jedes Jahr wird anlässlich der Feier zur Sommersonnenwende ein Bewohner Edefias per Los ermittelt, der sich sodann zur Singenden Quelle begeben darf. Das ist eine geheimnisvolle Quelle unweit der Feeninsel. Und nun stell dir vor: Das Wasser dieser Quelle ermöglicht es einem, eine verloren gegangene Erinnerung wiederzufinden oder noch einmal zu erleben. Glaub mir, dieses Privileg war höchst begehrt.
Ich erinnere mich noch daran, als wäre es gestern gewesen. Es war mein zwölfter Geburtstag. Als die Huldvolle Malorane die Hand in die riesige Kristallvase steckte, die die Namen aller Bewohner Edefias enthielt, ein Los herauszog und meinen Namen vorlas, glaubte ich zu träumen. Malorane führte mich zum Eingang eines riesigen Labyrinths, das den Zugang zur Singenden Quelle schützt. Dort drückte sie mir einen holografischen Plan des Labyrinths in die Hand, der sich auf meine Handfläche übertrug.
Ich irrte stundenlang angespannt an den grünen Hecken und Steinmauern entlang, bis ich endlich erschöpft den rettenden Ausgang fand. Denn durch diesen Ausgang entkam man nicht nur dem Labyrinth, in dem sich schon so mancher verirrt hatte und für immer gefangen blieb, sondern man gelangte auch zur Quelle!
Kaum hatte ich das teuflische Labyrinth hinter mir gelassen, erlosch das Hologramm auf meiner Handfläche. Ich hatte mein Ziel erreicht. Zwei Ungeheuer mit Frauenkopf und Löwenkörper bewachten den Eingang zur Höhle. Ich stand vor den furchterregenden Corpusleox. Wie alle Kinder aus Edefia hatte auch ich von diesen Geschöpfen gehört. Man erzählte sich schreckliche Geschichten über sie, die in erster Linie dazu dienten, kleinen Kindern Angst zu machen. Aber mit zwölf Jahren glaubte ich noch an sie, und ich weiß noch genau, welchen Schrecken ich empfand, als die Corpusleox mich mit ihren gelben Augen fixierten. Mit ihren spitzen scharfen Krallen hätten sie mich mühelos mit einem einzigen Prankenhieb in Stücke reißen können. Aus lauter Angst, eine falsche Bewegung zu machen, wagte ich nicht, mich zu rühren.
Später erfuhr ich, dass die Corpusleox dazu da waren, jeden erbarmungslos abzuweisen, der ohne Einladung zur Quelle gelangt war. Ich hingegen konnte unbehelligt passieren, da ich erwartet wurde und mir mit dem Durchqueren des Labyrinths das Recht erworben hatte, einzutreten. Während ich also gelähmt vor Angst vor dem Eingang zur Quelle stand, neigten die beiden Furcht einflößenden Geschöpfe das Haupt und forderten mich mit einem Heben der Pranke auf, einzutreten.
Im Inneren der Grotte erwartete mich ein prächtiger Anblick. Die Wände waren aus funkelndem Lapislazuli, in dem sich das Wasser der Singenden Quelle spiegelte – es war von einem herrlichen, durchsichtig schimmernden Rosarot. Die Luft war lauwarm und roch süß. Ich legte mich auf den Boden und blieb einfach liegen, eine Stunde, eine Nacht, ich weiß es nicht … Mir war jegliches Gefühl für Zeit und Raum abhandengekommen. Da war nur noch der unglaubliche Eindruck, mich im Inneren eines enormen Edelsteins zu befinden. Noch nie hatte ich solch reine, leuchtende Farben gesehen wie in dieser Grotte.
Ich wurde vom säuselnden Gesang der Quelle in den Schlaf gewiegt, und als ich wieder erwachte, lag eine große
Weitere Kostenlose Bücher