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Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Titel: Oksa Pollock. Die Unverhoffte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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die Stirn so fest runzelst, werden dir die Filigrinnen noch Falten nähen. Und mit dreizehn Jahren ist es dafür ein bisschen zu früh, findest du nicht?«
    »Na toll«, knurrte Oksa mit zusammengebissenen Zähnen und verdrehte die Augen zur Decke.
    Inzwischen krabbelten alle drei Filigrinnen auf ihrem Gesicht herum. Oksa spürte, wie sich ihre winzigen Beine auf ihrer Haut hin und her bewegten. Es war ein komisches Gefühl. Ein sehr komisches Gefühl. Allerdings nicht unangenehm, solange man nicht daran dachte, dass es sich um Spinnen handelte. Bisher hatte Oksa die Schnittwunden in ihrem Gesicht gar nicht gespürt, weil sie die ganze Zeit nur an ihr verletztes Knie gedacht hatte. Doch die Arbeit der Filigrinnen rief die Ereignisse des Vortags wieder in ihr wach: den Chemiesaal, wie er um sie herum in die Luft flog, den widerlichen Gestank der Chemikalien, den erbitterten Kampf mit McGraw … und Madame Crèvecœur.
    »Das wär’s, meine Duschka. Deine Schnittwunden sind nur noch eine Erinnerung. Ich gebe jetzt diese Salbe drauf, damit die Narben verschwinden, und danach hast du wieder eine Haut wie ein Pfirsich.«
    »Da gibt es noch jemanden, der sich freuen wird, dich so knackig frisch wiederzusehen«, raunte ihr Pavel ins Ohr. Er erhob sich von seinem Feldbett und ging aus dem Zimmer.
    »Marie!«, hörte man ihn durch den Flur rufen. »Möchtest du deine tapfere Tochter sehen?«
    Kurz darauf schob er seine Frau im Rollstuhl herein. Als sie Oksa sah, breitete sich ein Strahlen auf ihrem Gesicht aus. Pavel schob den Rollstuhl bis an Oksas Bett.
    »Hast du das gesehen, Mama?«, fragte das Mädchen und nickte mit dem Kopf zu den Filigrinnen hinüber, die Dragomira gerade vorsichtig in einen Glasbehälter zurücksetzte. »Ist das nicht gruselig? Äh … Baba, wo wir gerade von ekligen Sachen reden, was genau ist denn eigentlich in dieser Salbe?«
    »Bist du schon wieder misstrauisch?«
    »Also, wenn du mich so fragst … ja.«
    Dragomira und Pavel schmunzelten, während Marie insgeheim zugeben musste, dass sie den Ekel ihrer Tochter teilte.
    »Keine Sorge«, beruhigte ihre Großmutter sie. »Darin sind nur ein paar getrocknete, zerstoßene Schafgarbenblätter, vermischt mit einem Tropfen Goranovsaft und Rosenwasser.«
    »Ehrlich?«, fragte Oksa streng.
    »Ehrlich.«
    »Na gut, unter diesen Umständen bin ich weiterhin bereit, meinen Körper leihweise der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen – aber wohlgemerkt nur leihweise!«
    Mit diesen Worten ließ sie sich der Länge nach und mit ausgebreiteten Armen in Opferpose auf ihr Bett zurücksinken. »Ich muss heute in die Schule gehen, oder?«, fragte sie zögernd.
    »Ja«, bestätigte ihr Vater. »Wir haben darüber nachgedacht und sind zu dem Schluss gekommen, dass es ratsam wäre, auch wenn es dich nach allem, was gestern passiert ist, bestimmt viel Überwindung kostet. Mit ziemlicher Sicherheit ist die Polizei eingeschaltet worden, allein schon wegen der Schäden im Chemiesaal. Und nach dem, was ihr erzählt habt, du und Gus, hat McGraw irgendetwas tun müssen, um Madame Crèvecœur zum Schweigen zu bringen. Sie hat zu viel gesehen. Wenn man dich dazu befragt – und das wird garantiert geschehen –, dann musst du unbedingt so tun, als wüsstest du von nichts, als hätte dich McGraw zum Schulportal begleitet, wie er es auch mit den anderen Schülern immer macht. Hast du das verstanden?«
    Oksa nickte.
    »Es ist überlebenswichtig für uns alle, dass niemand erfährt, was sich genau zugetragen hat«, fuhr Dragomira fort. »Auch McGraw wird ganz bestimmt nicht riskieren, dass irgendjemand etwas ahnt, weder in Bezug auf ihn selbst noch auf uns. Auch wenn wir nichts Böses getan haben, würde es uns in große Schwierigkeiten bringen, wenn jemand erführe, wer wir sind und welche Fähigkeiten wir besitzen – das musst du dir immer vor Augen halten. Indem wir uns still verhalten, keinen Alarm schlagen, schützen wir uns, und heute ruht diese Aufgabe auf deinen Schultern. Wir wissen, dass wir viel von dir verlangen und dass es sehr schwer ist. Aber wir haben es nun schon fünfzig Jahre lang geschafft, unsere Anonymität und unser Geheimnis zu bewahren.«
    »Ja, ich weiß«, sagte Oksa bedrückt. »Aber was ist mit Madame Crèvecœur?«
    Pavel antwortete mit erstickter Stimme: »Wir können im Moment nichts für sie tun, Oksa, gar nichts.«
    Als Pierre Bellanger Gus und Oksa vor der St.-Proximus-Schule absetzte, spürte er ebenso wie sie die unterschwellige

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