Oksa Pollock. Die Unverhoffte
Chemiesaals. Normalerweise dauert das nicht länger als zehn Minuten.«
»Wer hat ihm heute Abend geholfen?«
»Das weiß ich nicht. Wie ich Ihnen schon sagte, war ich nicht da. Ich hatte einen Anruf bekommen, dass bei mir zu Hause eingebrochen worden sei, deshalb musste ich überstürzt weg. Was sich am Ende als völlig überflüssig erwies, weil es gar keinen Einbruch gegeben hatte. Ein übler Scherz offenbar. Danach bin ich wieder zur Schule zurückgefahren und war kurz nach achtzehn Uhr da. Ich wollte mich mit Bénédicte Crèvecœur hier treffen, ihr Auto stand auf dem Parkplatz, und mir fiel auf, dass das Auto des Kollegen McGraw auch noch dastand, was mich gewundert hat, weil normalerweise nie jemand so lange bleibt.«
»Ist das Schulgebäude für jeden zugänglich?«
»Nein. Tagsüber muss man am Portal unten klingeln. Dann überprüft der Pförtner, wer da ist und worum es geht, und öffnet dem Besucher. Die Schüler kommen nur unter Aufsicht herein und hinaus.«
»Auch an diesem Abend?«
»Bis siebzehn Uhr dreißig ist immer der Pförtner da. Danach sollte sich eigentlich kein Schüler mehr im Gebäude aufhalten, es sei denn, er oder sie hilft noch einem Lehrer, so wie jeden Donnerstag nach der Stunde von McGraw. In diesem Fall begleitet er den betreffenden Schüler zum Ausgang. Jeder Lehrer besitzt eine elektronische Karte, mit der er das Tor öffnen kann.«
»Haben Sie irgendeine Idee, was sich in diesem Raum hier zugetragen haben könnte? Offenbar hat hier jemand gewütet, aber nichts ist abhandengekommen.«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, erwiderte der Direktor niedergeschlagen.
Alle drei ließen den Blick durch den verwüsteten Chemiesaal schweifen. Der Gestank nach Chemikalien war noch immer sehr stark und brannte ihnen in den Augen. Die beiden Polizisten gingen mit vorsichtigen Schritten durch den Raum und blickten hinter und unter die umgeworfenen Möbel. Die Scherben der Fensterscheiben und der in Millionen Splitter zerborstenen Reagenzgläser knirschten unter ihren Füßen. Nicht einmal die Keramikoberflächen der Arbeitstische waren der Verwüstung entgangen.
»Noch eine letzte Frage, Monsieur Bontempi: Können Sie uns die Adresse von Mr McGraw geben?«, fragte einer der Polizisten.
»Mr McGraw? Hier ist die Polizei. Wir hätten ein paar Fragen an Sie. Es geht um eine reine Routineuntersuchung.«
»Bitte treten Sie ein«, sagte McGraw freundlich. »Worum geht es denn? Hoffentlich nichts Ernstes?«
Die beiden Polizisten ignorierten die Frage und ließen sich auf den Stühlen nieder, die McGraw ihnen anbot. »Um welche Uhrzeit haben Sie heute Abend die Schule verlassen?«
»Um siebzehn Uhr vierzig, spätestens. Eine Schülerin aus der Achten Wasserstoff, Oksa Pollock, hat mir noch beim Aufräumen geholfen. Danach habe ich sie zum Ausgang begleitet, um ihr die Tür zu öffnen. Ich bin dann in mein Auto gestiegen, aber es wollte nicht anspringen. Also habe ich es auf dem Parkplatz stehen lassen. Ich hatte heute Abend einfach keine Lust mehr, noch einen Abschleppdienst zu rufen, es war ein anstrengender Tag, und so habe ich mir ein Taxi nach Hause genommen.«
»Oksa Pollock, sagten Sie?«, fragte einer der beiden Polizisten nach und zog seinen Notizblock heraus.
»Genau«, erwiderte McGraw plötzlich mit einer Sorgenfalte auf der Stirn.
»Ist Ihnen noch jemand begegnet, bevor Sie das Schulgelände verlassen haben?«
»Nein, niemand.«
»Ist Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
»Nein. Die Schulflure waren wie jeden Donnerstagnachmittag leer. Alles war wie immer«, sagte der Lehrer.
»Wann haben Sie Madame Crèvecœur, Ihre Kollegin für Erdkunde und Geschichte, das letzte Mal gesehen?«
»Madame Crèvecœur? Warten Sie, da muss ich überlegen … Das muss heute nach dem Mittagessen gewesen sein, im Lehrerzimmer. Vielleicht bin ich ihr auch vor dem Nachmittagsunterricht noch mal auf dem Gang begegnet, das kann ich nicht mehr genau sagen. Aber weshalb fragen Sie? Ist ihr etwas zugestoßen?«
»Wo haben Sie sich das hier zugezogen?«, fragte ein Polizist, ohne auf McGraws Fragen einzugehen, und deutete auf die Kratzer, die der Lehrer im Gesicht und an den Händen hatte.
»Das war meine Katze«, erwiderte McGraw, ohne mit der Wimper zu zucken. »Sie ist in letzter Zeit ziemlich launisch.«
Just in diesem Augenblick erschien Mortimer McGraw mit einer Katze auf dem Arm im Wohnzimmer.
»Papa, die Katze spinnt total! – Ach, Entschuldigung, ich wusste nicht,
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