Oksa Pollock. Die Unverhoffte
Und je länger sie darüber nachdachte, desto verlegener wurde sie.
Dragomira erlöste Oksa aus ihrem Unbehagen. »Tugdual ist der Enkel unserer sehr lieben Freunde Naftali und Brune Knut«, erklärte sie. »Er wohnt gerade für einige Zeit bei Abakum.«
Alle sahen Oksa eindringlich an. Obwohl sie lächelten, fühlte sie sich immer unbehaglicher. Sie stand nicht gern im Mittelpunkt, selbst wenn ihr die meisten Menschen in diesem Raum vertraut waren. Und dann gab es da noch etwas, das sie nicht deuten konnte und als bedrohlich empfand: Sie hatte das Gefühl, in etwas hineingestolpert zu sein, das sie überforderte. Als das Geschöpf sie gesehen hatte, war irgendetwas Entscheidendes passiert, und es gab kein Zurück mehr für sie.
»Na gut, dann lasse ich euch jetzt allein«, sagte sie höflich, obwohl sie wusste, dass ihr Versuch, sich zurückzuziehen, scheitern würde. »Sehen wir uns morgen, Baba?«
»Ich glaube, du solltest einen Moment dableiben, Oksa«, sagte ihr Vater unsicher und hielt sie zurück. »Wir haben dir etwas zu sagen.«
Edefia
I
hr habt mir etwas zu sagen? Ist es etwas Schlimmes?«, fragte Oksa beunruhigt.
»Das kommt darauf an«, antwortete ihr Vater. »Jedenfalls ist es sehr wichtig.«
»Ich möchte euch vorher aber gern etwas fragen. Darf ich?«, sagte Oksa zögernd.
»Frag ruhig«, forderte Dragomira sie auf.
»Ich weiß, dass ich es nicht hätte tun sollen, Baba … aber ich habe … etwas in deiner Wohnung gesehen.«
Ihre Großmutter stand auf, ging zur Küche und kam kurz darauf mit dem Geschöpf wieder, das Oksa durchs Schlüsselloch gesehen hatte. Oksa schrie überrascht auf und trat einen Schritt zurück.
»Oksa, ich möchte dir den Plemplem vorstellen«, sagte Dragomira. »Hab keine Angst. Er ist ganz harmlos.«
»Der Gutenabendgruß wird Euch entboten, Enkelin meiner Huldvollen«, sagte das Geschöpf und verneigte sich vor Oksa.
»Was … was ist das, Papa?«, fragte Oksa ihren Vater stammelnd.
»Es ist der Plemplem deiner Großmutter, mein Schatz.«
»Der WAS?«
»Der Plemplem. Eine Art Haus- und Hofmeister, wenn du so willst. Ein Plemplem und eine Plempline stehen in Dragomiras Diensten. Sie kümmern sich um den Haushalt und übernehmen allerlei andere Aufgaben«, sagte Pavel mit dem Anflug eines Lächelns.
»Das ist ja völlig verrückt! Und wo hast du die her, Baba?«, rief Oksa, ohne das Geschöpf aus den Augen zu lassen.
»Das ist eine lange Geschichte, meine Duschka, aber setz dich doch bitte erst mal zu uns.«
Oksa setzte sich neben ihren Vater auf das rote Samtsofa, gegenüber ihrer Großmutter und deren Gästen. Der Plemplem kam heran und bot ihnen Erfrischungen an. Neugierig nahm Oksa das angebotene Glas, um ihn von Nahem sehen zu können, doch sie traute sich nicht, ihn zu berühren.
»Das ist ja ein unglaubliches Geschöpf! Es muss ein Außerirdischer sein, oder?«
»Nein, es ist kein Außerirdischer«, antwortete ihr Vater.
»Dann habt ihr ihn also aus Russland mitgebracht und es ist ein Geschöpf aus der Steppe?«
»Weder die Außererde noch die Steppe sind der Ursprung unserer Herkunft, Enkelin meiner Huldvollen, der Glaube ist von Irrtum getränkt«, erklärte der Plemplem und schüttelte dabei heftig den großen, runden Kopf.
Dragomira sah ihre Gäste fragend an. Alle senkten zum Zeichen des Einverständnisses den Blick. Sie holte tief Luft und erklärte: »Die Plemplems kommen tatsächlich weder aus dem Weltraum noch aus Russland, meine Duschka, sondern, wie wir alle hier, aus einem fernen Land. Dein Vater, Tugdual und du, ihr seid hier geboren. In dieser Welt. Doch das Heimatland der Ältesten unter uns ist Edefia.«
»Edefia? Davon habe ich noch nie gehört. Wo ist es?«
»Edefia ist unsere Heimat«, antwortete Dragomira. »Ein Land irgendwo auf der Welt, das jedoch nirgends verzeichnet ist.«
»Wie meinst du das, Baba? Eine Parallelwelt?«, unterbrach Oksa ihre Großmutter verwundert und fasziniert zugleich.
Leomido und Abakum lächelten.
»Ja und nein«, antwortete Dragomira und suchte nach Worten. »Es ist eine von einem Lichtmantel geschützte Welt, deswegen ist sie in den Augen der Von-Draußen unsichtbar.«
»Der Von-Draußen?«, unterbrach Oksa sie wieder.
»Die Von-Draußen, im Gegensatz zu den Von-Drinnen, sind alle Menschen, die außerhalb Edefias leben. Du musst dir Edefia wie eine riesige Biosphäre vorstellen, die niemand sehen kann.«
»Ja, vorstellen kann ich es mir. Vorstellen kann man sich alles. Aber es zu
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