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Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Titel: Oksa Pollock. Die Unverhoffte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Schlüsselloch. Da sah sie etwas vorbeigehen … etwas … Hilfe! Was war das? Was war das nur? Oksa schlug die Hand vor den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken. Erschrocken trat sie zurück und rieb sich die Augen, überzeugt, dass es eine Halluzination gewesen sein musste. Ich sehe Gespenster! Das ist ein Traum. Genau, das muss es sein, ich träume. Sie zwickte sich in den Handrücken und verzog das Gesicht vor Schmerzen. Also war sie doch hellwach, daran bestand kein Zweifel. Dann gab es also wirklich, was sie da gerade gesehen hatte … Sie hatte es nur flüchtig gesehen, doch es hatte ihr den Atem verschlagen.
    Sie setzte sich auf die oberste Treppenstufe, legte die Hand über die Augen und versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, wie es ausgesehen hatte. Es war ein rundliches Geschöpf mit einer kleinen flachen Nase, Segelohren, einem extrem breiten Mund und großen Kulleraugen gewesen. Ein Geschöpf, dem nichts Menschliches anhaftete, außer, dass es eine blaue Latzhose trug …
    Oksa atmete tief ein, stand auf und schaute noch mal durchs Schlüsselloch. Die Möglichkeit, dass sie halluzinierte, löste sich endgültig in Luft auf, denn das Geschöpf war immer noch da, neben Dragomira. Es hielt ein mit Gläsern beladenes Tablett in der Hand.
    In dem Moment, als sie entsetzt davonrennen wollte, donnerte es genau über dem Haus. Wind und Regen drangen durch die geöffneten Fenster und das Licht begann zu flackern. Dann erloschen die Glühbirnen mit einem dumpfen Knall. Das Wohnzimmer versank in Dunkelheit, doch das schien keinen zu kümmern. Ebenso wenig wie das Erscheinen eines orangefarbenen Kraken, der sofort für die ausgefallenen Lampen einsprang … Das seltsame Weichtier flog in einer Ecke des Raums knapp unter der Decke umher und wedelte lässig mit seinen zahllosen leuchtenden Fangarmen, und sofort war es wieder taghell.
    Oksa war vor Erstaunen wie gelähmt. Angestrengt sah sie weiter durchs Schlüsselloch.
    »Ähm, ähm, meine Huldvolle, ein Hinweis muss mitgeteilt werden …«, sagte das Geschöpf mit leiser, krächzender Stimme.
    Oksa runzelte die Stirn. Meine Huldvolle? Was soll das denn? Die sind doch alle durchgeknallt!, dachte sie.
    Das seltsame Geschöpf versuchte Dragomiras Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, indem es sich derart räusperte, dass es fast erstickte. Die Baba Pollock packte es an den Segelohren und zog kräftig daran. Prompt hörte es auf zu husten und verbeugte sich.
    »Meiner Huldvollen muss mit Verehrung gedankt werden, dass sie ihren Plemplem vor dem Erstickungstod gerettet hat. Doch Ihr müsst die Kenntnis haben, dass jemand sein Auge ans Schlüsselloch heftet.«
    Dragomira und Pavel sahen sich eine Weile wortlos an. Dann nickte Oksas Vater mit bedrückter Miene, und ihre Großmutter erhob sich, um zur Tür zu gehen. Oksa war ein paar Stufen hinuntergegangen, nachdem sie die Warnung des Geschöpfs gehört – und verstanden! – hatte, doch es war zu spät, um sich zu verstecken.
    »Oksa, meine liebe Enkelin, komm zu mir!« Dragomiras Stimme zitterte vor Aufregung.
    »Es war keine Absicht, Baba! Ich habe nichts gesehen und gehört, ehrlich! Ich wollte dir nur Gute Nacht sagen …«
    »Ich weiß, meine Duschka, ich weiß. Du kannst ganz beruhigt sein! Komm doch rein, um ein paar alte Bekannte zu begrüßen.«
    Dragomira hielt ihr freundlich die Hand hin. Oksa kam herauf und ihre Großmutter nahm sie fester in den Arm als sonst.
    Pavel, der ebenfalls zur Tür gekommen war, gab Oksa nervös ein Küsschen. Seine Augen glänzten, er machte einen sehr sorgenvollen Eindruck. Das war zwar sein Normalzustand, doch jetzt wirkte er besonders mitgenommen.
    »Alles in Ordnung, Papa?«
    »Alles in Ordnung, meine Große, alles in Ordnung«, beeilte er sich zu sagen.
    Zusammen betraten sie die Wohnung. Dort herrschte eine angespannte Atmosphäre, ein Eindruck, der durch das gedämpfte Licht und die offenkundige Besorgnis auf den Gesichtern der Anwesenden noch verstärkt wurde. Alle standen auf, als Oksa den Raum betrat.
    »Leomido! Ich wusste doch, dass du es bist!«
    Oksa stürzte sich auf ihren Großonkel, der die Arme ausbreitete, um sie zu begrüßen.
    Leomido Fortensky, ein berühmter Dirigent, war Dragomiras älterer Bruder. Er lebte an der zerklüfteten Küste von Wales. Seine Frau war vor Oksas Geburt gestorben und seine beiden Kinder Cameron und Galina wohnten in London. Dieser Besuch bei seiner Schwester war eine große Ausnahme, denn Leomido verließ sein Haus nur

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