Oksa Pollock. Die Unverhoffte
Enkelin meiner Huldvollen einen Gedanken anvertrauen? Einen Gedanken, der meine Überzeugung ist?«
»Ja, bitte!«, sagte Oksa ungeduldig.
»Groß war die Voraussicht der Huldvollen Malorane, sie hat unfehlbar jemandem das Vertrauen des Wegweisers gemacht, meine Hoffnung in diese Gewissheit ist unermesslich.«
»Glaubst du, dass meine Großmutter …?«
»Das hoffe ich. Die Huldvolle legt den Weg zur Lösung zurück, die Hoffnung Edefias erlebt nicht mehr die Unfruchtbarkeit.«
Die Plempline rieb sich über die großen Augen, in denen zartrosa Tränen glänzten, und schniefte dann sehr vernehmlich. Oksa streichelte ihren großen, zerknitterten Kopf.
»Ich muss los«, sagte sie dann und drückte ihr einen zarten Kuss auf die Stirn. »Danke für diese Auskünfte, Plempline. Bis bald!«
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Oksa!
P
avel hielt Oksa bei der Hand und führte sie. »Hab noch ein wenig Geduld«, sagte er. »Wir haben es fast geschafft …«
Er nutzte jeden Geburtstag seiner Tochter, um ihr eine unvergessliche Überraschung zu bereiten. Das Ritual war immer dasselbe: Er holte Oksa ab, verband ihr die Augen und führte sie an einen unerwarteten Ort. Dort nahm er ihr die Augenbinde ab und lüftete das Rätsel. Als sie zwölf wurde, hatte er sie auf die Spitze des Eiffelturms geführt! Sie war so erstaunt gewesen, dass sie es sicher nicht so bald vergessen würde!
Dieses Jahr glaubte Oksa zu wissen, was sie erwartete: Seit ihrer Ankunft in London hatten ihre Eltern sich strikt geweigert, ihr das Restaurant zu zeigen, und das war ziemlich verdächtig. Allerdings ahnte sie, dass die offizielle Eröffnung an ihrem dreizehnten Geburtstag stattfinden sollte. »Der Glückstag für zwei wichtige Ereignisse in meinem Leben«, hatte Pavel mit feierlicher Miene gesagt. Also ließ Oksa sich führen, hin- und hergerissen zwischen Ungeduld und Freude.
»Wir sind da … mach dich auf einen schweren Schock gefasst, meine mutige Oksa-san«, flüsterte Pavel ihr ins Ohr, während er ihr die Augenbinde abnahm.
Oksa blinzelte und erblickte eine unglaubliche, mit Efeu, Glyzinien und Kletterrosen überwucherte Hausfront vor sich. Über dem Eingang wehte ein Spruchband im Wind. Es informierte alle Passanten darüber, dass heute Oksas Geburtstag war.
»Oh, Papa, das ist ja irre!«
»Willkommen im French Garden , meine Tochter! Aber warte, bis du alles gesehen hast!«
Pavel nahm sie bei der Hand und führte sie hinein. Kaum war die Tür geöffnet, glaubte Oksa, ein anderes Universum zu betreten: Ein fantastischer Garten breitete sich vor ihr aus, eine idyllische Pflanzenwelt mit einer ebenso unerwarteten wie üppigen Vegetation.
»Ist das Gras?«, rief sie und bückte sich, um den Boden zu berühren.
»Ja«, antwortete Pavel schlicht, doch seine Augen leuchteten.
Beeindruckt setzte Oksa ihren Weg fort. Überall waren Pflanzen, Blumenbeete, Gruppen von Sträuchern, es gab sogar eine Eiche mitten im Raum! Schilf und Binsen, die um einen Goldfischteich wuchsen, rauschten leise im warmen Licht riesiger Fackeln. Kleine Buchsbaum- oder Weißdornhecken trennten die einzelnen Tische voneinander, Ledersessel sorgten für Gemütlichkeit. Auf dem offen gehaltenen Zwischengeschoss waren Liegestühle aus Stoff vor einem Wasservorhang aufgebaut und verstärkten den Eindruck eines magischen Orts.
»Ihr habt einen Garten in einem Haus angelegt! Das ist total verrückt!«
»Das habe ich allein dem Silvabulanerblut in meinen Adern zu verdanken, durch das ich die Kraft des Gründaumens besitze. Und ich habe einen gewissen Nutzen daraus gezogen.«
»Es ist wunderschön geworden, Papa!«
»Ich weiß. Aber komm erst mal hierher.«
Pavel zog sie in Richtung einer mit dunklen Rosen bewachsenen Laube, hinter der sich ein anderer, genauso fantastischer Raum unter einem Glasdach erstreckte. Auf dem mit Gänseblümchen bedeckten Rasen war ein Tisch aufgebaut, auf dem die größte Schokoladentorte thronte, die Oksa je gesehen hatte. Um ihn herum standen die Gäste.
Als sie Oksa sahen, begannen alle laut zu singen und gratulierten ihr dann stürmisch. Später spielte Musik und einige Gäste tanzten. Das Fest war ein voller Erfolg und der Kuchen war unglaublich lecker – es war perfekt. Jedenfalls fast …
Oksa ließ die Tür nicht aus den Augen, sie war den Tränen nahe und wünschte sich verzweifelt, dass ihre Mutter endlich auftauchen würde.
Pavel spürte, dass seiner Tochter das Herz immer schwerer wurde, je mehr Zeit verging.
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