Oliver Hell - Gottes Acker (German Edition)
Präsidium angekommen. Der Fahrer bremste ab und parkte.
„ Das macht 10 Euro fünfzig“, sagte er.
„ Ich muss Schluss machen, wir sind angekommen. Bis später Franziska … und Danke!“
„ Du musst dich nicht bedanken“, sagte sie noch, doch Hell hatte schon aufgelegt.
Er zahlte das Taxi und stieg aus. Schon kam er sich vor, als hätte er übersteigert reagiert. War das alles nur Einbildung? Brauchte er von allem Abstand? Von den Toten? Von den Kriminellen? Von seiner Arbeit? Was könnte er denn anderes tun als Verbrecher fangen? Sollte er sich bei einem privaten Sicherheitsdienst anwerben lassen? Oder als Bodyguard arbeiten? Was bliebe einem Polizisten im Vorruhestand denn übrig? Vor allem in seinem Alter. Es war leicht, Dinge von sich wegzuschieben und zu denken, wenn man etwas anderes tat, würde alles einfacher. Niemand konnte sich selbst und seiner Biografie aus dem Weg gehen. Sie saß einem auf der Schulter und betrachtete immer grinsend jeden Schritt.
Als er die Treppe hinaufstieg, hatte er beides bei sich. Seine Biografie, die ihm hämisch von der Schulter aus zu grinste und seine eigene Unschlüssigkeit.
*
Hell sah Meinhold mit leicht unsicherem Blick aus nächster Nähe an. Er bemerkte ein Flackern in ihren Augen. Er kannte seine Kollegin gut. Meinhold brütete etwas aus. Er beugte sich nach vorne.
„ Was denkst Du?“
„ Ich habe von Ihnen gelernt, Chef, immer um die Ecke zu denken, nichts für wahr zu halten, was sich einem als wahr auftischt und niemals den einfachsten Weg zu gehen“, sagte sie.
„ Recht so, gut zusammengefasst“, lobte er sie, „Ich hätte es nicht besser gekonnt.“
Meinhold lächelte ihn an.
Plötzlich stand Überthür im Raum, immer noch mit Schlips und Kragen und gut frisiert.
„ Ich habe Sie vermisst, Kommissar Hell. Ich dachte, sie kämen wenigstens zur Pressekonferenz“, sagte er gespielt gemütlich.
„ Schade auch, ich wäre gerne gekommen“, antwortete Hell, „Aber ich habe noch eine Zeugin aufgetrieben, die in der Nacht um halb eins etwas gehört hat. Sie beschreibt es als einen Knall. Was natürlich auch ein Schuss gewesen sein kann.“
Überthür setzte sich auf einen Stuhl, den er sich schnell genommen hatte. „Uns hat die Presse eben ganz schön zugesetzt. Fragen Sie ihren Kollegen Klauk, der sich übrigens ganz hervorragend geschlagen hat. Können wir diese Morde an Schnackenberg und Überthür mit dem Geständnis von diesem Doktor Winkmüller abschließen? Was denken Sie, Hell?“
Hell sagte nichts. Dafür stand Meinhold auf und ging zur Glastafel hinüber. Es ist immer wieder beeindruckend, einem geistigen Vakuum zu begegnen, dachte sie, doch sprach sie ihre Gedanken nicht aus.
„ Es gibt noch zu viele Ungereimtheiten. Genau über das unterhielten wir uns gerade, Herr Staatsanwalt“, sagte sie.
„ Ach, wir haben ein Geständnis. Zählt das nicht?“
„ Von einem Mann, der Chemiker von Beruf ist. Nichts in seiner Wohnung lässt darauf schließen, dass er die beiden Toten kannte. Nur die Mordwaffe im Keller. Das ist alles zu glatt für mein Empfinden.“
„ Ihr Empfinden ehrt Sie, aber wir müssen Ergebnisse liefern. Noch einmal lässt sich die Presse nicht so kalt von mir abwimmeln.“
Meinhold schaute von Hell zu Überthür herüber. „Stimmen Sie mir dabei zu, dass wir uns keine voreiligen Schüsse leisten können, weil uns sonst die Presse den Allerwertesten aufreißen wird?“
„ Sehr blumig, ihre Details, Frau Meinhold“, sagte Überthür, „Ich erwarte bis heute Abend weitere Einzelheiten, die uns die Möglichkeit geben, die beiden Fälle abzuschließen. Oder auch nicht.“
Er stand auf und verabschiedete sich. Schnell verschwand er aus dem Besprechungsraum. Meinhold stand auf und öffnete ein Fenster.
„ Bei dem fehlen mir echt die Worte“, sagte sie.
„ Danke, dass Du eingesprungen bist. Ich hätte ihn auflaufen lassen. Das hätte wieder nur Ärger gegeben.“
Denkt der tatsächlich, Ermittlungen halten sich an seine zeitlichen Vorgaben? Wo lebt dieser Mensch?“ Meinhold blieb am offenen Fenster stehen.
„ Das sind wohl die Freiheiten eines Staatsanwaltes“, antwortete Hell.
„ Freiheiten? Was hat das mit Freiheiten zu tun? Entweder machen wir unseren Job richtig oder gar nicht.“
„ Christina, ich mag diesen Mann genauso wenig, wie Du. Aber wir sollten ihn nicht verurteilen. Wir kennen nicht die Beweggründe für sein Handeln.“
Meinhold drehte sich weg vom Fenster und kam zu Hell herüber.
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