Oliver Hell - Gottes Acker (German Edition)
sein Werk. Er kannte kein Erbarmen, übersah ihren gebrochenen Ausdruck auf dem Gesicht. Auf ihrer Stirn zeigte sich ein perfektes Kreuz. Die beiden Schnitte trafen sich genau über der Nasenwurzel. Die Wunden klafften bereits auseinander.
Mit zwei Schritten stand er erneut neben der Wehrlosen und setzte akribisch einen Schnitt nach dem anderen. Die Klinge suchte sich ihren Weg. Wieder und wieder. Auf Gesicht, Armen, Dekolleté. Solange, bis er zufrieden war mit seinem Tun. Christina Gericke war danach nur noch ein blutendes Bündel Elend. Wieder trat er einen Schritt zurück.
Die junge Frau hatte längst das Bewusstsein verloren. Gnädige Ohnmacht. Jochheim hielt den Eimer in der Hand und überlegte sich den finalen Schnitt.
„ Liebchen, ich muss Dir noch ein wenig weh tun!“, sagte er und wischte das Blut von seinem Rasiermesser.
*
Wie nah doch alles lag. Das Leben und der Tod. Hilflosigkeit und Tatkraft. Tod oder Erlösung. Eine Explosion des Hasses, der in einem Inferno aus Wut gipfelt. Keine Flucht, kein Ausweg. Das Monstrum hatte gesiegt.
Das alles hätte man noch in Jochheims Gesicht wahrnehmen können, als er am Fenster stand und beobachtete, wie Holz und Berendi ihren Wagen vor der Türe parkten. Verstohlen musterte er die Beamten. Er wartete.
Die Amseln sangen ihr frohes Morgenlied. Für Wendt klang es wie ein Lied komponiert auf der Tonleiter eines Irrsinnigen. Sein Schädel drohte zu platzen. Kopfschmerzen konnte man das nicht mehr nennen, was sich in seinem Kopf abspielte. Für eine halbe Stunde hatte er den Rat Hansens angenommen und sich hingelegt. Doch der Schmerz ließ sich nicht verarschen. Egal, wie er sich auch legte, das Dröhnen und Hämmern in seinem Kopf nahm kein Ende.
Mit verquollenen Augen stand er schließlich wieder auf. Auch eine Dusche half nichts, selbst ein eilig getrunkener Kaffee verpuffte im Vakuum seiner Hirnschale.
Er schloss seinen Safe auf, fischte seine Dienstwaffe hervor. Nachdem er sie kontrolliert hatte, steckte er sie in seinen Holster. Er zog die Haustüre hinter sich zu. Mit vorsichtigen Schritten ging er die Treppe hinunter. Bloß keine Erschütterungen, dachte er. Sonst geht es direkt weiter mit der Baustelle im Kopf.
Er verfluchte zum x-ten Mal die Person, die ihm das Flunitrazepam in sein Getränk geschüttet hatte. Vor der Türe kniebelte er die Augen zusammen. Das Licht des frühen Morgens fuhr wie ein Stich in seine Augäpfel. Er ging zu seinem Opel herüber und suchte als erstes in den Ablagen nach seiner Sonnenbrille. Was für eine Wohltat. Die Schwester hätte noch eine Überempfindlichkeit gegenüber Tageslicht erwähnen sollen.
Er massierte einige Sekunden seine Schläfen. Dann startete er den Motor und machte sich auf den Weg nach Asbach.
*
Hell saß schweigend da. Mit einem Ruck stand er auf.
„ Wer ist dieser Typ? Was bringt ihn dazu, hier in Deutschland aktiv zu werden?“ Die Frage stellte er in den Raum, doch eigentlich stellte er sie Meinhold.
„ Darauf jetzt schon mit Sicherheit zu antworten, dafür ist es noch viel zu früh. Wir gehen zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass er im Auftrag einer Firma aus Marokko agiert. Oder eines Auftraggebers, aus deren Umfeld. Unsere Vermutung ist, dass es um das Phosphatrecycling geht. Natürlich können wir ihm das nicht nachweisen. Wenn wir ihn erst einmal hätten, dann … das wäre die Voraussetzung“, sagte Meinhold und war sich der Dürftigkeit dieser Antwort sehr bewusst.
„ Und Schnackenberg und Königer waren bloß – wie heißt das so schön - Kollateralschäden?“, fragte Hell zornig.
„ Sie sind seine Tarnung gewesen“, antwortete Meinhold.
Hell stand vor den Glastafeln und schaute auf die Namen der Opfer. Tarnung, dachte er. Mordlust träfe es eher.
Er schaute sich um und blickte in müde, abgekämpfte Gesichter.
Meinhold stellte ihre Dose mit dem Energydrink auf den Tisch vor sich. Dort hatte sich bereits eine stattliche Anzahl der Dosen mit dem roten Stier im Markenlogo angesammelt. Sie schob eine der Kaffeetassen beiseite. Kaffee und Energydrinks hielten sie am Leben.
„ Leute, ich weiß, ihr habt nur ein paar Stunden Schlaf gehabt. Ich danke euch dafür, dass ihr euch die Nacht um die Ohren gehauen habt. Aber es hat sich ja gelohnt. Wir wissen, wie unser Täter aussieht. Das ist schon ein großer Erfolg. Christina, Lea, Sebi, ich bitte euch, wir dürfen den Sonntag nicht als Ruhetag ansehen. Wir müssen versuchen, eine Verbindung zu seinen Auftraggebern
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