Oliver Hell - Gottes Acker (German Edition)
hatten sie getan, um zu überleben? Er versuchte krampfhaft, sich zu erinnern. Sie hatten sich an schöne Erlebnisse erinnert, an ihre Familien, ihre Geliebte, ihre Freundin, ihren Hund. An Vertrautes. An etwas, was sie am Leben hielt. Was konnte ihn am Leben erhalten? Sein Luis-Philippe-Sekretär? Seine Seidenteppiche? Wieso hatte er keine Freundin? Wieso hatte er keinen Hund? So ein Scheiß-Köter konnte ihm jetzt das Leben retten. Dabei mochte er noch nicht einmal Hunde. Hundehaare und Seidenteppiche waren so etwas wie natürliche Feinde. Er erinnerte sich an einen Besuch seiner Schwester, die ihren kleinen Pekinesen dabei hatte. Danach musste er für teures Geld die Teppiche reinigen lassen, weil dieses Scheiß-Vieh seine Haare darauf verloren hatte. Es kochte wieder in ihm auf.
Reg dich auf! Solange wie du dich aufregst, schläfst du nicht ein.
Reg dich auf!
*
Auf der Fahrt auf die andere Rheinseite hatte Hell beinahe einen Unfall. Als er auf die Südbrücke über den Rhein auffuhr, übersah er einen von hinten kommenden LKW. In letzter Sekunde hörte er die höllische Fanfare des Trucks. Die Lichthupe flackerte auf. Hell gab Gas. Er raste über die Brücke und bog die Abfahrt ‚Rheinaue‘ ab. Er fuhr rechts ab, hielt an der nächsten Kreuzung vor der roten Ampel an, entschied sich spontan, eine kurze Pause einzulegen. Erst als er den Mercedes auf dem Parkstreifen abstellte, fühlte er sein Herz wummern. Das Adrenalin fuhr durch seinen Körper. So schnell kann es zu Ende sein. Alles. So schnell.
Erst als er sich wieder in der Gewalt hatte, wendete er den Mercedes und fuhr langsam, aber sicher weiter bis zur Poppelsdorfer Allee. Er brauchte nicht lange nach der Hausnummer suchen. Die beiden Polizeiwagen, die vor dem Haus parkten, waren nicht zu übersehen. Hell bog links ab und stellte seinen Wagen hinter den Polizeifahrzeugen ab. Er stieg aus und schaute sich um. Zu seiner großen Verwunderung hielt in dem Moment ein weiteres Fahrzeug hinter ihm. Hell schaute auf das Kennzeichen, da er durch die Windschutzscheibe, den Fahrer nicht erkennen konnte. Es war Klauks Golf. Als er seinen Kollegen aussteigen sah, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Warum auch immer.
„ Mensch Sebi, wie schön dich zu sehen“, sagte er. Klauk wusste mit der stürmischen Begrüßung seines Chefs nichts anzufangen. Doch schließlich freute er sich nur darüber.
„ Ja, ich freue mich auch sie zu sehen“, sagte er bloß und verbarg geschickt seine Verwunderung über den Gefühlsausbruch seines Vorgesetzten, „Ich habe gehört, dass Roberts verschwunden sein soll.“
Er verschwieg, dass Rosin ihn angerufen hatte, weil sie ihm über den angeschlagenen Zustand Hells informieren wollte. Außerdem hatte sie berichtet, dass er Streit mit Überthür hatte und sein Zustand dem geschuldet war.
All das konnten sie im Moment nicht gebrauchen. Niemand brauchte Streit unter Kollegen und vor allem brauchten sie einen Kommissar Hell in Hochform. Angeschlagen war er nur die Hälfte Wert.
Hell verschwieg ihm von dem beinahe Unfall zu berichten, als sie die Treppe hinaufstiegen. Jetzt ging es darum, die Wohnung von Roberts zu inspizieren. Hell mochte die alten, dreiflügeligen Haustüren aus verziertem Holz, die im oberen Teil fast nur aus Glas bestanden. Doch einbruchssicher waren diese weißgestrichenen Türen nicht. Im Hochparterre sahen sie einen grauen Kopf hinter der Gardine hervorlugen. Als sie an der Tür vorbeigingen, verschwand der Kopf schnell im Halbdunkel des Flurs. Der graue Kopf gehört der alten Dame, die den Mann mit dem Paket ins Haus gelassen hatte. Jetzt betrachtete sie argwöhnisch die Polizisten, die sich im Haus befanden.
Hell stieg schnell die Stufen in den zweiten Stock hinauf. Er konnte nicht mehr nur hechelnd mit Klauk mithalten, nein, er war sogar zwei Schritte vor ihm. Für irgendetwas muss der Verzicht auf das Nikotin ja gut sein, dachte er.
Auf dem Treppenabsatz stand ein uniformierter Kollege und befragte den Nachbarn, der mit einem Jogginganzug in der Haustüre stand. Der Jogginganzug schien ihm mindestens zwei Nummern zu groß zu sein. Aus der Wohnung drang leise Musik. Klassik. Hell war sie völlig unbekannt. Der Kollege grüßte ihn und zeigte auf die geöffnete Wohnungstür links neben ihm. Klauk prüfte das Schloss der Türe auf seine Unversehrtheit. Oberflächlich waren keine Einbruchsspuren zu sehen. Ein detailliertes Ergebnis würden die Kollegen der KTU sicher abgeben können.
„ Er hat denjenigen wohl
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