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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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heimlichen Fußtritt und tappte sich dann die Treppe hinunter.
    »Immer machen sie Masematten«, murmelte er vor sich hin, als er nach Hause schlich. »Das Faule an die Frauenzimmer is, daß ä ganz kleine Kleinigkeit oft hinreicht, und schon kommt das Gefühl bei ihnen eraus. Zum Glück dauert’s nicht lang. Haha! Der Mann gegen das Kind – und e Beitel Gold.«
    Sich so mit philosophischen Betrachtungen die Zeit verkürzend, strebte er durch Schlamm und Schmutz seinemfinstern Hause zu, wo bereits der Baldowerer ungeduldig auf ihn wartete.
    »Was ist? Ist Oliver zu Bett? Ich muß reden mit ihm«, war Fagins erster Satz, als sie die Treppe emporstiegen.
    »Schon ein paar Stunden«, erwiderte der Baldowerer und öffnete die Türe. »Da liegt er.«
    Oliver lag tief schlafend auf einem groben Bett, das auf dem Boden zurechtgemacht worden war, bleich vor innerer quälender Unruhe und Kummer. Infolge der dumpfen Luft in seinem Kerker sah er aus – blaß wie der Tod. Und wie ein junges Menschenkind, aus dem soeben eine vornehme Seele hinübergeflohen ist.
    »Nicht jetzt«, murmelte der Jude und wandte sich leise ab. »Morgen – morgen.«

ZWANZIGSTES KAPITEL
    Oliver wird Mr. William Sikes übergeben
     
    Als Oliver am nächsten Morgen erwachte, war er nicht wenig verwundert, ein Paar neue Stiefel mit starken dicken Sohlen an Stelle seiner alten abgenutzten zu erblicken. Zuerst freute er sich über die Entdeckung, in der Hoffnung, darin ein Zeichen seiner bevorstehenden Befreiung zu sehen. Als er aber bald darauf hörte, Mr. Sikes werde ihn noch abends abholen lassen, sank seine Hoffnung.
    »Und – und werde ich dort bleiben, Sir?« fragte er ängstlich.
    »Nein, nein, Jüngel, du wirst nicht dort bleiben«, erwiderte Fagin, »ich möcht dich nicht so leicht verlieren. Fürcht dich nicht, Oliver, du wirst wieder zu uns zurückkommen, hahaha! Wir werden doch nicht so grausam sein, dich wegzuschicken, liebes Kind. Was fällt dir nur ein?«
    Der Jude hatte sich dabei über das Feuer gebeugt, um ein paar Brotschnitten zu rösten, wandte sich um und kicherte, um anzudeuten, daß er ganz genau wisse, wie gern Oliver fortlaufen würde, wenn er nur könnte.
    »Mir scheint«, sagte er und grinste Oliver an, »mir scheint, du möchtest gern wissen, zu was für ä Zweck dich Bill Sikes abholen kommen wird, was?«
    Oliver errötete unwillkürlich, als er sich so durchschaut sah, antwortete aber tapfer: »Ja gewiß möcht ich das gern wissen.«
    »Nu, wozu denkst du wohl?« fragte Fagin.
    »Ich weiß es wirklich nicht, Sir«, erwiderte Oliver.
    »Nu«, sagte der Jude, »wirst de es schon erfahren von Bill selber.«
    Innerlich schien Fagin sehr verdrossen, daß Oliver nicht neugierig war. In Wirklichkeit hätte dieser jedoch gern den Grund gewußt, weshalb man ihn plötzlich zu Bill Sikes bringen wolle. Aber er war durch die Tücke, die aus Fagins ganzem Gebaren sprach, zu verwirrt, als daß er noch weitere Fragen gestellt hätte. Es bot sich ihm auch keine Gelegenheit mehr dazu, denn Fagin blieb bis zum Abend sehr schweigsam und ernst. Als es anfing, dunkel zu werden, machte er sich zum Ausgehen fertig.
    »Brenn der derweil ä Kerze an«, sagte er, »und hier hast de ä Buch zum Lesen, damit de dir nix langweilst, bis se der abholen kommen. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht«, sagte Oliver leise.
    Der Jude ging zur Türe, spähte aber dabei immerwährend über die Schulter nach Oliver. Plötzlich blieb er stehen und rief ihn.
    Oliver Twist blickte auf. Der Jude deutete auf die Kerze und befahl ihm, sie anzuzünden. Oliver gehorchte; und wie er den Leuchter auf den Tisch stellte, bemerkte er, wie ihnFagin von der Türe aus unter halbgeschlossenen Augen genau beobachtete.
    »Hüte dich, Oliver, hüte dich!« warnte er und drohte ihm mit der Faust. »Bill is ä roher Mensch und denkt an nix als an Blut, wenn sei eigens ämol in Wallung is; ich rat dir, was auch geschieht, sag’ nicht ä Wort und widersprich nicht; tu, was er dir befiehlt, das merk dir, verstanden?« Allmählich verzogen sich seine Mienen zu einem gespenstigen Grinsen, und mit einem Kopfnicken ging er langsam aus dem Zimmer.
    Oliver schlug die Hände vors Gesicht, als der Alte draußen war, und dachte mit bebendem Herzen über die eben vernommenen Worte nach. Je mehr er grübelte, desto weniger konnte er den geheimen Sinn, der in den Sätzen zu liegen schien, ergründen. Er vermutete ganz richtig, daß man ihn als Handlanger zu irgendeiner verbrecherischen Tat ausersehen

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