olly - 09 - Die Burg erlebt ihr groesstes Fest
holen könne. Herr Schwarze starrte verwirrt auf diesen verirrten Weihnachtsengel und nickte abwesend. Evelyn huschte davon und kam bald darauf mit einer Weinflasche zurück. Sie schenkte erst ihm, dann sich ein Glas ein und prostete ihm geziert zu.
Sandra, die mit einem Tablett voller abgegessener Schüsseln und Teller vorüberging, erstarrte. Evelyn hatte sie die ganze Zeit aus den Augenwinkeln beobachtet und verstärkte ihre Bemühungen um den gutaussehenden, aber spröden jungen Lehrer.
„Wer gewinnt? Was wettest du?” flüsterte Dolly Susanne zu.
„Erinnerst du dich an vergangenes Jahr? Das Drama mit Don Rodriguez, dem Spanischlehrer? Damals gab’s ein Unentschieden zwischen unseren beiden Schönheiten.”
„Ja, weil der Gegenstand ihrer Anbetung sich aus der Schußlinie verdrückte”, sagte Dolly lachend. „Aber diesmal? Ich glaube, die Runde geht an Evelyn.”
„Wenn du dich da nur nicht täuschst”, mischte sich Anita ins Gespräch. „Sandra setzt gerade zum zweiten Angriff an.” Tatsächlich hatte Sandra das Tablett kurzerhand auf dem nächsten Stuhl abgestellt und war zum Büfett hinübergegangen. Dort hatte sie ein paar Stück Gebäck auf einen Teller gelegt und schwebte damit auf Herrn Schwarze zu.
„Haben Sie schon diese himmlischen Törtchen versucht?” zirpte sie. „Sie müssen sie einfach probieren! Sie zergehen auf der Zunge! Evelyn, du möchtest bitte mal in die Küche kommen.” Damit schob sie die Freundin zur Seite.
KlausHenning Schwarze blickte hilfesuchend über die Köpfe der beiden Anbeterinnen hinweg und traf Dollys Augen, die mit Susanne und Anita amüsiert die Szene beobachtete. Dolly sah ihn lachend an und nickte ihm ermunternd zu. Der junge Lehrer lächelte unmerklich zurück, dann setzte er zum Gegenangriff an.
„Achtung! Jetzt!” raunte Dolly.
KlausHenning Schwarze ergriff mit übertriebener Begeisterung den dargebotenen Teller. Mit der anderen Hand hielt er das Glas und prostete beiden Mädchen zu. Dann überfiel er sie mit einem Schwall von Worten. Dolly, Susanne und Anita konnten nicht hören, was er erzählte. Aber es mußte eine aufregende Geschichte sein, denn seine Arme ruderten – Teller und Glas balancierend – wild durch die Luft. Im Sturme seiner Begeisterung ging er immer näher auf die beiden Mädchen zu, denen nichts anderes übrigblieb, als Schritt für Schritt rückwärts auszuweichen, um nicht von ihm überrannt zu werden.
Vor Begeisterung hingen die Mädchen an den Lippen des Lehrers und platsch – landeten sie im Wasser
Dolly, Susanne und Anita ahnten, was er vorhatte und hielten den Atem an.
„Sie können sich diesen Anblick einfach nicht vorstellen!” schwärmte Herr Schwarze und machte eine weitausholende Geste. „Phänomenal!” jubelte er, und die Arme flogen mit Teller und Glas nach vorn.
Evelyn und Sandra, die an seinen Lippen hingen, wichen nach hinten aus – und platsch! Die zwei Schönheiten verschwanden unter einem Tropfenregen, der sich über die Umstehenden ergoß, in der Tiefe des Schwimmbeckens. Herr Schwarze mimte Bestürzung, als die beiden Konkurrentinnen wie zwei fremdartige Wasserpflanzen aus der Tiefe auftauchten. Über die Gesichter rann in kleinen dunklen Bächen die Schminke, Sandras Zopf hatte sich selbständig gemacht und trieb wie ein einsames Schiffchen ans Ufer. Die falschen Wimpern klebten statt auf den Augenlidern auf Mund und Nase. Evelyns Wimpern hatten sich sogar in den weiten Ausschnitt des Kleides verirrt und wippten auf der blassen Haut neckisch auf und nieder. Die beiden Mädchen prusteten und spuckten und ruderten verzweifelt um ihr Leben.
„Du liebe Zeit, die können doch gar nicht schwimmen!” sagte Will plötzlich. Das allgemeine Gelächter verstummte, und man ging daran, mit hilfreich ausgestreckten Sonnenschirmen und Stöcken die unfreiwilligen Taucher ans Ufer zu manövrieren. Schluchzend und hustend flüchteten die beiden Unglücksraben ins Haus.
„Das war eine bittere, aber sicher wirkungsvolle Medizin”, sagte Dolly schmunzelnd. „Für dieses Semester sind sie geheilt.”
Die hohe Kunst der Stenografie
„Was soll denn das sein?”
„Was?”
„Dies Zeichen da.”
„Ein Kürzel.”
„Das weiß ich. Aber was soll es bedeuten?” Susanne, die Dolly über
die Schulter geschaut hatte, legte den Finger auf die unleserliche Stelle.
„Das soll – das heißt – ach, weißt du, das ist eben meine persönliche
Stenografie.”
„Aha. Kannst du mir dann vielleicht mal verraten, warum du
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