Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
worden, liegt nun auf Tisch und Boden und saugt verschütteten Wein auf, und selbst Odysseus ’ herrlichster Bogen – jener, den nur er alleine spannen konnte, wie die Sage ging, ein so wu n dervoller und seltener Bogen, dass er beschlossen hatte, ihn nicht nach Troja mitzunehmen – liegt jetzt auf dem Steinboden inmitten eines wüsten Haufens von Odysseus ’ berühmten, mit Widerhaken versehenen und vergifteten Jagdpfeilen.
    Zeus fährt herum. Der Riese trägt dieselben weichen Gewä n der, die er auf dem Thron des Olymps getragen hat, aber jetzt ist er nicht mehr so gigantisch. Doch obwohl er geschrumpft ist, damit er in diesen Raum passt, ist er immer noch doppelt so groß wie Achilles.
    Der fußschnelle Männertöter befiehlt uns mit einer Handb e wegung zurückzubleiben. Er hebt seinen Schild, zückt sein Schwert und betritt den Speisesaal.
    »Mein Sohn«, dröhnt der Gott des Donners, »verschone mich mit deinem kindischen Zorn. Würdest du mit einem einzigen schrecklichen Schwertstreich Göttermord, Tyrannenmord und Vatermord begehen?«
    Achilles geht weiter, bis ihn nur noch der breite Tisch von Zeus trennt. »Kämpfe, alter Mann.«
    Zeus lächelt immer noch. Offenbar ist er nicht im Geringsten beunruhigt. »Denk nach, fußschneller Achilles. Benutze au s nahmsweise einmal dein Gehirn statt deine Muskeln oder de i nen Schwanz. Möchtest du, dass dieser unfähige Krüppel auf dem goldenen Thron des Olymps sitzt?« Er macht eine Kop f bewegung zu Hephaistos, der stumm neben mir in der Tür steht.
    Achilles dreht sich nicht zu uns um.
    »Denk ausnahmsweise einmal nach«, wiederholt Zeus. Seine tiefe Stimme lässt das Geschirr in der nahe gelegenen Küche vi b rieren. »Tu dich mit mir zusammen, Achilles, mein Sohn. Werde eins mit der durch Mark und Bein dringenden Gege n wart des Zeus, des Vaters aller Götter. So vereint, Vater und Sohn, Unsterblicher und Unsterblicher, werden zwei mächtige Geister einen dritten zeugen, noch mächtiger als sie – als Dre i faltigkeit von Vater, Sohn und heiligem Willen werden wir über den Himmel und Troja herrschen und die Titanen auf ewig wieder in ihre Grube schicken.«
    »Kämpfe«, sagt Achilles. »Du alter Schweineficker.«
    Zeus ’ breites Gesicht durchläuft eine Abfolge verschiedener Rottöne. »Verhasstes Wunder! Selbst dergestalt meiner Macht über alle Elemente beraubt, zertrete ich dich!«
    Zeus packt den langen Tisch an der Kante und schleudert ihn durch die Luft. Fünfzehn Meter lange, schwere Holzplanken und Pfosten fliegen, sich überschlagend, auf Achilles ’ Kopf zu. Der Mensch bückt sich tief, und der Tisch kracht hinter ihm an die Wand, zerstört ein Freskogemälde, und Splitter fliegen u m her.
    Achilles tritt zwei Schritte auf Zeus zu.
    Der Göttervater breitet die Arme aus, öffnet die Hände und zeigt seine Handflächen. »Würdest du mich töten, o Mensch, während ich so vor dir stehe? Unbewaffnet? Oder werden wir mit bloßen Händen kämpfen wie Helden in der Arena, bis einer nicht mehr aufsteht und der andere die Trophäe erringt?«
    Achilles zögert nur eine Sekunde. Dann nimmt er seinen go l denen Helm ab und legt ihn beiseite. Er löst den kreisrunden Schild vom Unterarm, legt das Schwert in den Schild, fügt se i nen bronzenen Brustharnisch und die Beinschienen hinzu und stößt alles mit dem Fuß zu uns herüber. Jetzt trägt er nur noch sein Hemd, einen kurzen Rock, Sandalen und den breiten L e dergürtel.
    Zweieinhalb Meter von Zeus entfernt geht Achilles mit leicht ausgebreiteten Armen in die Ausgangshaltung eines Ringers und duckt sich.
    Da lächelt Zeus, bückt sich mit einer so schnellen Bewegung, dass ich sie kaum mitbekomme, und richtet sich mit Odysseus ’ Bogen und einem vergifteten, schwarz gefiederten Pfeil wieder auf.
    Mach, dass du wegkommst!, kann ich Achilles gerade noch me n tal zurufen, aber der blonde, muskulöse Held weicht keinen Mi l limeter von der Stelle.
    Zeus spannt die Sehne bis zum Zerreißen, krümmt dabei m ü helos den Bogen, den angeblich niemand auf Erden außer Odysseus krümmen kann, zielt mit dem breiten Giftpfeil genau auf Achilles ’ zweieinhalb Meter entferntes Herz und schießt.
    Der Pfeil verfehlt sein Ziel.
    Er kann sein Ziel nicht verfehlen – nicht auf diese Entfernung, der Schaft scheint gerade und völlig in Ordnung zu sein, das schwarze Gefieder ist voll –, aber er verfehlt es fast um einen halben Meter und gräbt sich tief in den zertrümmerten Tisch, der schräg an der Wand lehnt.

Weitere Kostenlose Bücher