Olympos
anderen fliehen zum Loch zurück.
»Was in Hades ’ Namen sollte das?«, keucht Odysseus, als er zum großen Ajax kommt und zwischen die Leichen tritt, die in all den anmutigen und würdelosen – aber Odysseus allzu ve r trauten – Haltungen eines gewaltsamen Todes daliegen.
Der Sohn des Telamon grinst. Sein Gesicht ist vom Blut trojan i scher Frauen bespritzt, seine Rüstung und sein Schwert sind tri e fend rot. »Das ist nicht das erste Mal, dass ich Frauen getötet h a be«, sagt der sterbliche Riese, »aber bei den Göttern, es hat mir noch nie so viel Spaß gemacht!«
Kalchas, Sohn des Thestor und ihr fähigster Wahrsager, kommt von hinten herbeigehumpelt. »Das ist nicht gut. Das ist schlecht. Das ist ganz und gar nicht gut.«
»Sei still«, sagt Achilles. Er beschirmt die Augen und schaut zum Loch, wo gerade die letzten Frauen verschwinden, jedoch umgehend von einer kleinen Gruppe größerer Gestalten ersetzt werden. »Was ist das?«, sagt der Sohn des Peleus und der Gö t tin Th e tis. »Die sehen wie Kentauren aus. Ist mein alter Freund und Lehrer Chiron gekommen, um uns zu unterstützen?«
»Keine Kentauren«, sagt der scharfäugige, scharfsinnige Ody s seus. »Weitere Frauen. Zu Pferde.«
»Zu Pferde?« Nestor kneift seine alten Augen zusammen, um besser zu sehen. »Nicht in Streitwagen?«
»Sie reiten auf Pferden wie die sagenhaften Reitertruppen der a l ten Zeiten«, sagt Diomedes, der sie jetzt sieht. Niemand reitet in diesen modernen Zeiten mehr auf einem Pferd, man lässt die Ti e re nur noch Streitwagen ziehen – obwohl Odysseus wie auch D i omedes selbst erst vor einigen Monaten, noch vor dem Waffe n stillstand, bei einem mitternächtlichen Beutezug aus einem troj a nischen Lager entkommen sind, indem sie auf ungesattelten, u n gezäumten Streitwagenrössern durch Hektors halb erwachtes Heer geritten sind.
»Die Amazonen«, sagt Achilles.
15
Athene-Tempel. Menelaos im Anmarsch, mit rotem Gesicht, schwer atmend – Helena auf den Knien, das blasse Gesicht g e senkt, die noch blasseren Brüste entblößt. Er ragt über ihr auf. Er hebt sein Schwert. Ihr blasser, dargebotener Hals wirkt so dünn wie ein Schilfrohr. Die unablässig geschärfte Klinge wird nicht einmal innehalten, wenn sie durch Haut, Fleisch, Knochen fährt.
Menelaos hält inne.
»Zögere nicht, mein Gemahl«, flüstert Helena. Ihre Stimme zi t tert nur leicht. Menelaos sieht ihren heftigen Pulsschlag u n ten an ihrer schweren, blau geäderten linken Brust. Er packt das Heft mit beiden Händen.
Doch noch lässt er die Klinge nicht herabsausen. »Zum Hades mit dir«, haucht er. »Zum Hades mit dir.«
»Ja«, flüstert Helena, das Gesicht immer noch gesenkt. Das go l dene Götzenbild der Athene ragt über ihnen beiden in die wei h rauchgeschwängerte Dunkelheit.
Menelaos umklammert das Heft des Schwertes mit der I n brunst eines Würgers. Seine Arme vibrieren unter der doppelten A n spannung – sie machen sich bereit, seine Gemahlin zu enthaupten, und verhindern die Tat zugleich.
»Weshalb sollte ich dich nicht töten, du treulose Fotze?«, zischt Menelaos.
»Dafür gibt es keinen Grund, mein Gemahl. Ich bin eine tre u lose Fotze. Sie und ich waren beide treulos. Mach ein Ende. Vollstrecke deine rechtmäßige Todesstrafe.«
»Nenn mich nicht Gemahl, verdammt!«
Helena hebt das Gesicht. Ihre dunklen Augen sind genau die Augen, von denen Menelaos seit über zehn Jahren träumt. »Du bist mein Gemahl. Du warst es immer. Mein einziger Gemahl.«
Da tötet er sie fast, so schmerzhaft sind diese Worte. Schweiß tropft ihm von Stirn und Wangen und fällt auf ihr schlichtes G e wand. »Du hast mich verlassen – du hast mich und unsere Toc h ter verlassen«, bringt er hervor, »für diesen … diesen … Jungen. Diesen Gecken. Dieses Glitzerhemdchen mit Schwanz.«
»Ja«, sagt Helena und senkt das Gesicht wieder. Menelaos sieht das kleine, vertraute Muttermal in ihrem Nacken, ganz unten am Hals, genau dort, wo die Schneide der Klinge sie tre f fen wird.
»Warum?«, stößt Menelaos hervor. Es ist das Letzte, was er s a gen wird, bevor er sie tötet oder ihr vergibt … oder beides.
»Ich verdiene den Tod«, flüstert sie. »Weil ich mich gegen dich, gegen unsere Tochter und unser Land versündigt habe. Aber ich habe unseren Palast in Sparta nicht aus freien Stücken verlassen.«
Menelaos knirscht so wild mit den Zähnen, dass er sie kn a cken hören kann.
»Du warst fort«, flüstert Helena, seine Gemahlin, seine
Weitere Kostenlose Bücher