Omka: Roman (German Edition)
seine Mutter, und ich finde das völlig normal, dass ein Kind an seiner Mutter hängt.«
Omka bemerkte, dass irgendetwas in ihrem Inneren erschrak und leise zusammenzuckte. Die glatte Stelle war wieder da.
»Das Kind ist da und bleibt da, bis an mein Lebensende«, dachte sie sich, und die Luft um sie schien sich abgekühlt zu haben. Auf einmal fiel ihr auf, dass es etwas Fremdes für sie war, und es schien ihr, als ob es gar keine Verbindung zwischen ihr und ihrem Sohn gab.
»Du wolltest dieses Kind doch damals so gerne haben«, sagte Josef.
Omka bekam furchtbare Angst. Ihr war, als würde sie verschwinden.
Am nächsten Tag rief das Krankenhaus an, um ihr zu sagen, dass man sich für einen anderen Bewerber entschieden hatte.
Kapitel IX Ihr fehlt etwas
Der Regen hielt an, und die Luft war kühl und frisch. Wenn morgens die Sonne aufging, dampften der Wald und die Wiesen, und alles schien sauber und frisch wie ein weißes Porzellanwaschbecken mit kaltem Wasser darin. Alles war an seinem Platz. Omka war mit dem Kind spazieren gegangen. Sie schob den Wagen vor sich her über den Kiesweg und sah Jonas an, der im Wagen eingeschlafen war. Dauernd musste sie daran denken, was Josef gesagt hatte. »Du bist eben seine Mutter.« Dieser einfache Satz ließ ihr keine Ruhe und löste ein taubes Gefühl in ihr aus, und sie wurde immer unsicherer.
Velinka war jeden Vormittag da, sie war ein solider, belastbarer Mensch trotz ihren feingliedrigen Händen und dem zierlichen Körperbau. Sie hatte schon öfter versucht, mit Omka ein Gespräch anzufangen. Das ging immer so wie beim ersten Mal.
Velinka kam damals in die Küche und holte das Fläschchen mit dem Tee für Jonas. Omka hatte eben telefoniert und aufgelegt, als Velinka sie fragte: »Viel Arbeit, Frau Rampelhoff?«
Omka sah sie von der Seite aus an.
»Nein«, sagte sie.
Velinka wärmte den kalten Tee auf. Sie stand neben dem Herd und sagte: »Jonas ist wirklich ein ganz reizendes Kind. Er hat Ihr Muttermal am Hals, genau an derselben Stelle. Und er ist so ruhig und unkompliziert, obwohl er wohl gerade einen neuen Zahn bekommt, das ist ungewöhnlich.«
»Ja«, sagte Omka.
»Denken Sie denn vielleicht schon über ein Geschwisterchen für ihn nach?«, fragte sie.
»Eigentlich nicht«, sagte Omka, und dann war es still.
Velinka wunderte sich nicht. Alle müden Blumen haben einen müden Tod, dachte sie sich. Sie war schon lange genug Kinderfrau. Der Mann geht arbeiten, und die Frau ist zu Hause, hatte ansonsten nichts zu tun und bekam dann noch am Vormittag freie Zeit geschenkt, die sie mit nichts anderem zu verbringen wusste, als zu telefonieren und ein trauriges Gesicht zu machen. Die Welt ist einfach träge, dachte sie sich weiter und füllte das Fläschchen von Jonas mit Tee. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht.
Omka las in der Zeitung die Geschichte von einem Mann, den man aus Versehen in einem Kühlraum eingesperrt hatte. Darin war es nicht kalt gewesen, weil er nicht in Betrieb war, aber der Mann war am nächsten Morgen tot gefunden worden und offenbar erfroren.
»Das muss ich Josef erzählen«, dachte sie.
Über den Dächern hing ein weißes Gespinst, das sich in kleine Fetzen teilte, die aussahen, als hätte man die zu kurzen Fäden, die beim Spinnen herabfallen, zu kleinen Häufchen zusammengekehrt.
Josef saß in seinem Büro am Schreibtisch und dachte nach. Auf dem Bildschirm vor ihm flackerten bunte Farben durcheinander, eine halbleere Tasse Kaffee stand links neben dreidimensionalen Skizzen, Grundrissen, die dazugehörigen Längsschnitte und perspektivischen Zeichnungen von Gebäuden mit Menschen darin, die aussahen wie Fotos.
»Ich habe nicht nur keine Seele, sondern auch keine Füße«, hatte sie damals zu ihm gesagt, und dieser Satz wollte nicht aus seinem Kopf verschwinden.
»Was für ein ausgemachter Blödsinn«, dachte er sich, und ihm fiel ein, dass Koketterie wohl doch eher zu den Frauen gehörte als zu den Männern. Seit Jonas auf der Welt war, war sie irgendwie verändert, dachte er bei sich. Sie ging fast gar nicht mehr aus dem Haus, und er hatte den Eindruck, als sei sie in einer Seifenblase aus Glas, als wäre es um sie herum kühl und einsam. Das blaue Licht, das zu Hause immer vom Bildschirm auf ihr Gesicht strahlte, gab ihr ein fremdes Aussehen, wie ein zufriedenes außerirdisches Wesen sah sie dann aus. Wenn sie dann fast träumerisch sagte: »Ich habe Freunde«, dachte er sich, er lebe mit einer Irren
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