Omka: Roman (German Edition)
schnellen Schrittes grußlos und sichtlich empört hinaus. Die alte Dame trat an den Schalter, der Bankangestellte nahm das Formular weg und sagte »Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«, woraufhin die Dame ihn süß anlächelte, ihm Geld hinlegte und sagte: »Bitte einzahlen.«
»Gott sei Dank«, dachte Omka.
Nach einer Unterschrift war die Dame verschwunden, und Omka trat an den Schalter. Jetzt erst bemerkte sie, dass der Bankangestellte im eleganten Anzug krank war; seine Wangen und seine Nasenflügel waren gerötet, die Augen glasig, und auf seiner Stirn saßen kleine Schweißperlen. Diskret drückte er sich ein Stofftaschentuch an die Nase, wischte sich die Stirn und sah Omka dann freundlich an. An seinem Schalter stand ein kleines Schildchen: » MA Kevin Feuersinger.«
»Entschuldigen Sie«, sagte er, »was kann ich für Sie tun?«
Sie gab dem Bankangestellten ihre Karte und sagte: »Dreitausend bitte.«
Der junge Mann im dunklen Anzug sah in seinen Computer, dann auf die Karte, dann sah er Omka an, die ihn freundlich anlächelte.
»Einen Moment bitte«, sagte er, ging in ein Hinterzimmer, kam wieder zurück und zählte ihr die Scheine vor.
»Fünf, zehn, fünfzehn, zwanzig, fünfundzwanzig und dreitausend. In Ordnung?« »Vielen Dank«, sagte Omka und beiläufig: »Haben Sie sich erkältet?«
»Ach das«, sagte der junge Mann, »das ist die Jahreszeit. Alles ist krank. Da kann ich doch nicht auch noch ausfallen« und dann schnell: »Und wir sind ja gerne für unsere Kunden da.«
Omka dachte an Grippetropfen, kalte Umschläge, heißen Tee und Brustwickel mit Zwiebeln, sagte aber, weil er sie durchgehend anlächelte, nur: »Wiedersehen, gute Besserung.«
Als sie an der schwarz verglasten Außenwand des Gebäudes entlanglief, kam sie an einem großen Fenster vorbei. Ihr Blick fiel flüchtig hinein: Junge Leute, die Frauen in Hosenanzügen, die Männer dunkel gekleidet mit Krawatten und Brillen, hörten einem Dozenten zu, der an einer Tafel stand. Auf der Tafel war eine rote Kurve, die in Zacken verlief und bei einer Null und einer Acht steil nach unten fiel. Omka verstand nicht, was drinnen gesprochen wurde, aber der Dozent gestikulierte wild, auf seiner Stirn standen die Schweißperlen, und sein Gesicht zeigte Euphorie, sein rechter Zeigefinger deutete nach oben.
Im Einkaufszentrum gab es mehrere Ebenen, in der Mitte konnte man ganz hoch und durchs Dach hinaussehen, und zwischen den Etagen gab es Rolltreppen, Cafés und Sitzecken, wo man auch essen konnte, die Wände waren fort, es war alles aus Glas. Überall sah sie bunte Schriftzüge, aus den Lautsprechern kamen Musik und Stimmen. »Shoppen macht glücklich!«, stand da. Erst jetzt fiel Omka auf, wie unglücklich sie war.
»Unglücklich«, flüsterte sie und noch einmal: »Ich bin unglücklich. Ich bin so unglücklich.«
» MARKENVERLIEBT ? STILVERLIEBT ? ERFOLGSVERLIEBT ? – Bewerben Sie sich bei uns!«, stand da.
Omka überlegte und setzte sich dann an einen kleinen Tisch, man konnte von dort in den unteren Stock auf eine Sitzgarnitur schauen und auf die Leute, die mit ihren vollen Taschen vorbeihasteten. »Das ist doch nicht das wahre Leben«, dachte sie bei sich. Der Kellner kam, seine Haare waren schwarz und an den Seiten des Kopfes rasiert, in der Mitte länger und mit Gel zu einer spitzen Frisur geformt, seine Ohrläppchen mehrmals durchstochen, und auf seinen Unterarmen waren schwarze verschlungene Ornamente, die wie ein Drachenkopf aussahen. »Ein Glas Champagner«, sagte Omka.
Sie fühlte sich wohl in ihrer Haut, als sie das sagte.
»Wir haben auch Champagner Rosé, wenn Sie möchten«, sagte der Kellner. »Spritzig, elegant und ganz neu eingetroffen.«
»Warum nicht?«, sagte Omka und spielte mit dem Gedanken, sich einen Drachen auf dem Unterarm anzuschaffen, wie der Kellner.
»Sehr gerne«, sagte der und ging zurück zum Tresen.
»Das ist doch nicht wirklich …«, dachte sie noch einmal, um sich im nächsten Moment über sich selber zu ärgern. Sie saß in einem schicken Kaufhaus bei einem Glas teurem Champagner, das Kind war zu Hause bei der Kinderfrau, und sie konnte nicht aufhören, zu denken und zu denken. Alles vergessen wollte sie jetzt, es genießen, ob es unklug war, dekadent oder nicht das Wahre, aber was war schon das Wahre? Der Champagner kam, Omka beobachtete eine Gruppe Kinder, die in der letzten, unteren Etage um die Sitzgarnitur rannten, wo ihre Mütter saßen, jede eine kleine Kaffeetasse in der Hand,
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