Ondragon: Nullpunkt: Mystery-Thriller (German Edition)
Kopfschüttelnd fragte sich Ondragon, wie man hier ernsthaft Urlaub machen konnte. In Hotels, die ihre besten Zeiten längst hinter sich hatten und besoffene Touristen billige Prostituierte abschleppten. Rundherum nichts als Schmutz, Gewalt und Elend.
„Grauenvoll“, flüsterte er.
„Du sagst es, Chef. Das ist die hässliche Schwester von Rio de Janeiro!“
Nach weiteren zehn Minuten hatten sie genug gesehen und ließen sich zum Beira Mar Hotel an der Praia de Meireles chauffieren, wo sie sich mit einem guten Trinkgeld vom Taxifahrer verabschiedeten, der gleich darauf seine Musik wieder auf gewohnte Lautstärke stellte und davonbrauste. Gegenüber dem Hotel befand sich ein Beachpark mit Palmenhainen, Sonnenliegen und Strandbars, den sogenannten Botecos. Das „Veraneio“ fanden sie ohne Probleme. Es lag im Schatten von Gummibäumen und mit direktem Blick auf das türkisblaue Wasser.
Schon etwas besser, dachte Ondragon, setzte sich an einen freien Tisch und sondierte die Umgebung. Die Strandbar schien von Dobermann12 sorgfältig für das geheime Treffen ausgewählt worden zu sein. Eine hohe Hibiskushecke schirmte die Tische vor unerwünschten Blicken von der Straße her ab, und aus den Lautsprechern an der Hütte drang Musik in genau der richtigen Laustärke, so dass man sich gedämpft unterhalten konnte, ohne dabei von Tischnachbarn oder etwaigen Richtmikrofonen belauscht zu werden. Während Charlize mit einem kleinen Spaziergang am Strand die Leute auf den Sonnenliegen unter die Lupe nahm, checkte Ondragon die Gäste an den Tischen. Ganz links saßen zwei braungebrannte Typen Mitte Zwanzig, vermutlich Amerikaner. Nein, stopp! Der eine trug Jack-Wolfskin-Sandalen. Das konnten nur Deutsche sein. Aber würde Dobermann12 so etwas anziehen? Wohl eher nicht.
Am nächsten Tisch saß eine Rentnergang bestehend aus drei Frauen und drei Männern. Diesmal eindeutig Amerikaner, gut zu erkennen an ihren Busfahrer-Hintern, den Biene-Maja-Ärmchen und den obligatorischen Riesenbrillen. Jener Typ rüstiger Rentner, der sich lediglich die hässliche Schwester der Copacabana leisten konnte, wie Charlize es zuvor so treffend ausgedrückt hatte.
Am Tisch daneben lümmelten sich betont cool zwei Einheimische. Lässig gekleidete Beach-Romeos, die an ihren Flaschenbieren saugten und auf ein Techtelmechtel mit einer weißen Touristin spekulierten. Die Kandidatinnen dafür saßen auch schon am Nachbartisch. Vier blondierte und übergewichtige Twens mit viel zu engen Bikinis und krebsroter Haut. Sie sprachen so laut und mit solch starkem Akzent, dass klar war, woher sie stammten. Nur das United Kingdom brachte diese unsägliche Mischung aus royalem Snobismus und dem übelsten Kneipenslang hervor. Hip, hip, horray – three cheers and more beers for Her Majesty!
Dann waren da noch zwei weitere Typen, die jeweils allein an ihren Tischen saßen.
Ein junger Bursche, dünn und drahtig. Er trug Sneakers, Muskelshirt, Laufbrille und auf dem Kopf eine weiße Baseballkappe. Nationalität? Schwer zu schätzen. Er war dunkelhäutig aber nicht schwarz. Eher ein Südländer, zum Beispiel Mexikaner oder Spanier. Vielleicht auch ein Abkömmling der weißen brasilianischen Oberschicht. Ondragon wandte sich dem zweiten, viel interessanteren Typen zu. Ein dunkelhaariger, leicht untersetzter Mann, der scheinbar gedankenverloren an seinem Fruchtsaft schlürfte. Er war um die Vierzig und kleidungstechnisch eine Kopie von Ondragon: T-Shirt, Shorts, lächerlicher Hut. Wenn das nicht Dobermann12 war! Der Bursche vermied es geradezu angestrengt, zu ihm herüberzuschauen und gab vor, verträumt auf den Strand hinauszublicken. Ondragon bemerkte jedoch, dass seine Pupillen immer wieder in die Augenwinkel rutschten. Außerdem hatte der Mann einen Fehler gemacht. Er trug eine klobige Traser-Militäruhr für mindestens 800 Dollar am Handgelenk. Das würde kein Tourist tun. Fortaleza war zwar ein Paradies für Billigurlauber aus aller Welt, aber auch für Taschendiebe und anderes Gesindel, und man tat gut daran, stets in Understatement gewandet auf die Straße zu treten.
Entspannt lehnte sich Ondragon zurück und winkte Charlize zu. Übertrieben girliemäßig kam sie auf ihn zugetrippelt, setzte sich neben ihn und schwärmte laut über den tollen Strand. Sie machte ihre Sache gut. Ondragon lächelte sie an und legte locker einen Arm um ihre Schultern. Schließlich waren sie ja verlobt, und für eine Weile genoss er es sogar, seiner Assistentin so nahe sein zu
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