Ondragon: Nullpunkt: Mystery-Thriller (German Edition)
Affektiertheit die Gerichte des Tages anpries. Er wählte eine klare Bouillon mit Gemüseeinlage als Vorspeise, eine gedünstete Forelle als Hauptgang und dazu eine Karaffe mit kühlem Bergquellwasser – das günstigste Menü, welches die Küche zu bieten hatte. Denn eigentlich war es Philemons Plan gewesen, in den billigen Esslokalen der Stadt zu speisen, um sich etwas von seinem nicht gerade üppigen Lohn zu sparen, aber das hatte er durch seinen bekanntgeworden Status als Assistent des unliebsamen Dr. Tesla recht schnell abschminken müssen. Auch seine beiden Kollegen Löwenstein und Czito aßen aus diesem Grund im Hotel.
Der Commis de rang brachte eine Karaffe mit Wasser und schenkte ihm ein. Nachdem er wieder verschwunden war, sah Philemon sich unauffällig um und erschauerte unwillkürlich bei dem Anblick der aufgetakelten Gäste an den anderen Tischen. Übergewichtige Matronen in ihren wallenden Kleidern saßen neben blässlichen Gentlemen mit gezwirbelten Schnurrbärten und verkrampften Kiefermuskeln. Kurgäste. Vor einigen Jahren hatte Philemon mehrere Monate im schweizerischen Davos verbracht, und die Leute dort hatten haargenau so ausgesehen. Abscheu wallte in ihm auf. Obwohl seine Eltern der wohlhabenden Mittelschicht von New York angehörten und ihn zeit seines Lebens mit der nötigen Etikette ausgestattet hatten, die in allen Belangen seinem gesellschaftlichen Rang entsprach, fühlte er sich in solchen Etablissements stets deplatziert. Sie standen im Kontrast zu dem spartanischen Arbeitsplatz draußen in der staubigen Prärie. Philemon liebte die Einfachheit, die nüchterne Funktionalität des Labors, die ihn zu ungeahntem Schaffensdrang anspornte. Und in diesem Punkt stimmte er mit seinem Mentor überein: Große Ideen können nur aus Einsamkeit und Not geboren werden.
Als Philemon die Suppe serviert bekam, sah er, dass Löwenstein und Czito den Salon betraten. Er winkte ihnen und sie kamen an seinen Tisch. Nachdem sie Platz genommen und beim Maître eines der Tagesmenüs bestellt hatten, kehrte eine heitere feierabendliche Stimmung in die Runde ein. Czito trank frisch zubereitete Limonade und Löwenstein gestatte sich einen großen Schluck Coca-Cola.
„Ah, wie belebend! Eine Coke um acht wirkt bis elf! Der Slogan ist tatsächlich wahr!“, scherzte er und stürzte durstig den Rest des Getränks herunter. „Ich wünschte, wir hätten draußen im Labor eine von diesen neuen Linde-Kühlmaschinen, dann könnten wir die Cola direkt dort lagern und kalt trinken. Warm ist das Gesöff leider ungenießbar.“ Er bestellte sich eine zweite Flasche, als der Hauptgang kam. Hungrig aßen sie ihr Menü, denn auch die Verpflegung wurde im Labor recht schmal gehalten. Nichts sollte sie von der Arbeit ablenken und manchmal gab es zwischendurch lediglich trockenen Zwieback und Wasser. Kurz kam Philemon die Idee, dass ein solch sublimer Mensch wie der Doktor wahrscheinlich allein von der Energie lebte, die er aus dem Äther gewann. Eine erheiternde Vorstellung.
„Was lachen Sie, Phil?“, fragte Löwenstein.
„Ach, ich frage mich nur, wovon der Doktor lebt. Er steckt seit drei Tagen in seiner Kammer, und ich habe ihn nicht essen oder trinken sehen.“
„Er ist sehr genügsam. Aber wenn er isst, dann tut er das in einem äußerst ritualisierten Rahmen. Er hat in diesem Bezug einige ungewöhnliche Angewohnheiten, wenn ich das mal so ausdrücken darf.“
Philemon war neugierig geworden. Er tupfte sich Mund und Schnurrbart mit der Serviette ab und lehnte sich zurück. „Was für Angewohnheiten sind das denn?“
Löwenstein sah Czito an, der kaum merklich nickte. So war das also, der Serbe gab hier den Ton an, wenn auch stumm.
„Sie haben doch sicher bemerkt, dass der Doktor stets Handschuhe trägt und niemals zur Begrüßung Hände schüttelt. Das liegt daran, dass er Angst vor Keimen hat, die allein durch Kontakt übertragen werden könnten. Seine gesundheitliche Konstitution ist sehr fragil, auch wenn er kaum Schlaf benötigt und tagelang ohne Essen auskommt, so muss er sich doch vorsehen, nicht krank zu werden. Als junger Mensch war er oft malad. Er hat einst die Cholera überlebt, müssen Sie wissen, und er möchte eine erneute schwere Krankheit um jeden Preis verhindern, da sie ihn schwächen und in seiner Arbeit weit zurückwerfen würde. Also gibt es für ihn nicht nur stets ein neues Tischtuch, sondern es ist auch seine Gewohnheit, jedes Besteckteil, mit dem er zu speisen gedenkt, zuvor eigenhändig
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