One: Die einzige Chance (German Edition)
eine Stimme. »Alles gut«, sagte sie dumpf. »Sie haben versucht, mich zu tracken.« Eine Frauenstimme. Samuels Augen fielen wieder zu. Er war zu schwach. »Gut«, sagte die Stimme und entfernte sich. Samuel verlor erneut das Bewusstsein.
Als er wieder zu sich kam, war es hell. Ein sanftes Licht. War er tot? Gab es doch so etwas wie ein Paradies? Er blickte auf die beigefarbene Fläche vor seinen Augen, versuchte seinen Arm auszustrecken, der unter seinem Oberkörper begraben war und sich taub anfühlte wie ein lebloses Stück Fleisch. Er streckte seine Beine und stieß irgendwo gegen.
»Nicht randalieren«, sagte eine freundliche Stimme. Samuel stieg der Geruch von neuem Leder in die Nase. Seine Augen brauchten einen Moment, um sich an das Licht zu gewöhnen. Es war so hell, so verdammt hell. In seiner Vorstellung war es noch mitten in der Nacht gewesen. Was war in den letzten Stunden passiert?
Samuel blickte sich vorsichtig um. Er befand sich auf der Rückbank eines Autos. In seinem Arm kribbelte es. Er versuchte die Finger zu bewegen. Am Steuer saß eine Frau mit roten Haaren. Sie hatte den Kragen ihrer Bluse aufgestellt und hielt das Lenkrad lässig mit einer Hand. Feiner Nieselregen schlug gegen die Windschutzscheibe.
»Was … was ist passiert?«, fragte Samuel. Seine Lippen brannten. Er berührte sie mit den Fingern. Sie waren taub und geschwollen. Dunkel erinnerte er sich an den Polizisten, an diesen aggressiven Blick unter dem hochgeklappten Visier und den Moment, in dem er das Bewusstsein verlor. Mit der Hand ertastete er eine Beule am Hinterkopf und verkrustetes Blut. »Haben Sie …«
»Kannst mich duzen«, sagte die Frau und drehte sich nach hinten. Samuel zuckte zusammen. Er kannte das Gesicht. Es war das Hippiemädchen, das sie zur Werkstatt mitgenommen hatten. Fabienne. Sie musste ihn in der Menge entdeckt haben. Was für ein Glück! Er versuchte den Kopf zu bewegen. Es tat weh.
»Was hast du auf der Demo gemacht?«, fragte das Mädchen. »Ich dachte, du wolltest zu einer Freundin.«
»Wollte ich auch«, sagte Samuel und hielt inne. Ein stechender Schmerz pochte unter seiner Schädeldecke. Vorsichtig setzte er sich auf, wartete, bis die Welt nicht mehr Karussell fuhr, und lehnte sich zwischen den Sitzen hindurch nach vorne. Er musste zweimal hinschauen, um sicherzugehen, dass er sich nicht täuschte. Fabienne trug ein edles Kostüm, Perlenkette und einen knielangen Rock. Die Flip-Flops hatte sie gegen schwarze Pumps eingetauscht. Sogar die Haare hatte sie ordentlich, beinahe bieder nach oben gesteckt. In dieser Aufmachung wirkte sie um etliche Jahre älter.
»Diese Scheißbullen hauen einfach drauf«, sagte sie. »Die kapieren einfach nicht, dass die Leute auch für sie auf die Straße gehen.« Sie schaute in den Rückspiegel und beschleunigte.
»Wieso … wieso hast du dich umgezogen?«, stammelte Samuel. Er wusste nicht, was schlimmer war, die Kopfschmerzen oder der Druck auf der Brust. Jeder Atemzug tat weh.
»Wollte nicht von der Staatsmacht angehalten werden. Die räumen gerade alle aus dem Verkehr, die sich wehren. Spießig ist die beste Tarnung.« Sie bog scharf nach links ab. Wieder der Blick in den Rückspiegel. Durch ihn hindurch. Wurden sie verfolgt? War der Wagen gestohlen?
»Wohin fahren wir?«
»Berlin. In drei Stunden sind wir da.«
»Aber …«
»Von dort aus kommst du überallhin.«
Samuel nickte zögernd. Was zum Teufel sollte er in Berlin? Seinen Koffer konnte er jetzt wohl vergessen. Verdammter Mist! Warum hatte sie ihn nicht einfach ins Krankenhaus gebracht? »Die Polizei … ich …« Ein brennender Schmerz ließ ihn aufstöhnen. »Ich glaub, ich hab ’ne Gehirnerschütterung.«
»Musst du kotzen?«
»Nein.«
»Dann ist alles okay. In den Krankenhäusern ist ohnehin die Hölle los. Die behandeln nur wirkliche Notfälle.«
Samuel schwieg. Er wollte nicht wie ein Weichei dastehen. Auch wenn ihm jetzt schwindelig wurde und er tatsächlich das Gefühl hatte, sich übergeben zu müssen. Kurz schloss er die Augen und es ging ihm wieder besser. Den Koffer würde er schon zurückbekommen und einen Drachen für seine Stiefschwester würde er auch in London auftreiben. Sie würde den Unterschied nicht bemerken.
»Gibt immer Leute, die im Frust durchdrehen und damit alle reinziehen. Auf beiden Seiten. Passende Klamotten und der richtige Wagen und man kann sich unnötigen Ärger ersparen. Aber eines kannst du mir glauben, ich hasse Röcke.« Sie lachte auf.
»Ist das
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