One: Die einzige Chance (German Edition)
Auto geklaut?«, fragte Samuel misstrauisch. Die Innenausstattung war aus teurem Leder. Auch wenn er die Marke nicht erkannte, weil er sich nichts aus Autos machte, wirkte der Wagen ziemlich exklusiv.
»Nein, Carsharing, ganz legal. Kannst dich entspannen. Ich bin keine Diebin.«
Samuels Blick fiel auf die angebrochene Packung Garnelen im Fußraum und es durchzuckte ihn siedend heiß. »Wo ist …«
»Keine Panik. Der Kater steht hinter dir. Im Kofferraum. Es geht ihm gut.«
Samuel beugte sich über die Rückbank. Tatsächlich, da stand die Transportbox. Er atmete aus.
»Hab ihn gefüttert und Wasser gegeben. Hättest ihn beinahe zerquetscht, als dich der Bulle vermöbelt hat.«
»Danke.« Samuel holte Badawi aus der Box, nahm ihn auf den Schoß und strich ihm übers Fell. Er wirkte apathisch.
»Warum verreist du mit einer Katze?« Fabienne blickte erneut in den Rückspiegel und lächelte. Sie hatte sich auch geschminkt. Der Lippenstift war etwas zu dunkel, fand Samuel.
»Weil … weil ich keine Freunde habe«, sagte er ironisch. »Nein … im Ernst, Badawi ist ziemlich alt. Ich wollte ihn nicht zurücklassen.«
»Zurücklassen?«
»Ja.«
»Bist du geflüchtet?«
»So ähnlich.«
»Was hattest du auf der Demo verloren? Siehst weder aus wie ein Kapitalismusgegner noch wie ein Erzieher oder so.« Fabiennes Handy vibrierte. Sie blickte auf das Display und ging ran. Für den Bruchteil einer Sekunde verschwand ihr entspannter Gesichtsausdruck. Sie hielt sich den Hörer dicht ans Ohr. Nur ein Nuscheln war zu hören. »Ich weiß«, sagte sie genervt. »Aber wieso? Das versteh ich nicht.« Sie schaltete das Radio an und redete weiter.
Circle Division. Samuel grinste, da lief tatsächlich Circle Division, was für ein bescheuerter Zufall! Hatten es die Zombie-Marionetten also auch nach Europa geschafft. Wahrscheinlich wegen des abgefahrenen Musikvideos. Das Mädchen hörte dem Anrufer zu. Ab und zu ein Ja oder ein Nein, mehr nicht. Dann ein paar Sätze, die Samuel in Zusammenhang mit der Demo brachte. »Sie haben sie verhaftet? … Aber ich … ich dachte … nein, ist gut. Dann bis nachher.«
»Probleme?«, fragte Samuel.
»Das Übliche.« Fabienne griff neben sich und reichte ihm eine Papiertüte. »Ist ein Sandwich drin. Vegetarisch. Zu trinken steht neben dir.«
»Ich esse Fleisch«, sagte Samuel.
Fabienne seufzte. »Ich aber nicht.«
Samuel öffnete die Tüte und blickte auf dunkle belegte Brotscheiben. Er biss hinein und war glücklich darüber, den körnigen Geschmack auf der Zunge zu spüren. Kein Weißbrot, das sich am Gaumen festsaugte, sondern Käse, Essiggurken und Butter. Echte Butter. Der Geschmack war eine Sensation. Auch deshalb hatte er Deutschland vermisst: wegen des Essens.
Kaum hatte er die beiden Brote hinuntergeschlungen, bereute er seine Gier. Am liebsten hätte er sich die Finger abgeleckt.
»Hat’s dem Herrn geschmeckt?«, wollte Fabienne wissen.
»Herrlich.«
»Freut mich. Das zweite Sandwich war nämlich für mich.«
»Sorry«, sagte Samuel mit schiefem Lächeln. »Das …«
»Schon gut. Hab eh keinen Hunger.«
»Hast du meinen Rucksack auch mitgenommen?«
»Liegt unter der Decke. Ist ziemlich verbeult. Hoffe, da war nichts Zerbrechliches drin.«
»Glaub nicht.«
»Du glaubst nicht?«
»Nein«, korrigierte sich Samuel. »Schon in Ordnung.«
Auf der Autobahn war nicht viel los. Sie war regelrecht ausgestorben. Vielleicht hatte das auch mit den Unruhen zu tun.
»Wohnst du in Berlin?«, fragte Samuel.
»Nein, in München.«
»Und dort gibt’s keine Demos?«
»Doch, aber die sind nicht so spannend.« Sie blickte wieder in den Rückspiegel. »Was ist denn jetzt aus deiner Bekannten geworden? Hat sie dich rausgeschmissen, weil du ihr den Kühlschrank leer gefressen hast, oder wollen deine Eltern, dass du schnell nach Hause kommst?«
»Nein.« Samuel wurde ernst.
»Ärger?«, bohrte Fabienne weiter.
»So ähnlich.«
»Musst nicht drüber reden.«
Er dachte an das viele Blut und die weit aufgerissenen Augen. Er musste zur Polizei gehen. Er musste sagen, was er gesehen hatte. Fabienne wechselte auf die rechte Spur und nahm die nächste Ausfahrt. Samuel hatte keine Ahnung, wo sie waren.
»Bist eher so der misstrauische Typ, was?«, stellte sie fest.
Er blickte nach draußen und antwortete nicht. Wieder stieg dieses seltsame Gefühl in ihm auf, Teil eines Traums zu sein.
»Die Zentrale liegt etwas außerhalb.«
»Die Polizei?«
»Nein, nicht die Polizei.« Sie
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