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One: Die einzige Chance (German Edition)

One: Die einzige Chance (German Edition)

Titel: One: Die einzige Chance (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Elsäßer
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anderen Grenzabschnitt zu vernachlässigen, um sie zu erwischen, selbst wenn man sie doch auf den Bildern entdeckte. Wenn nicht, würde man sie festnehmen. Fabienne, weil sie ein Rechenzentrum in die Luft gejagt hatte, und ihn, weil er wegen Mordes gesucht wurde. Sie waren Terroristen auf der Flucht.
    Plötzlich trat Fabienne auf die Bremse. Sie schaltete den Motor aus, dann das Licht. Mehrere Bäume boten ihnen Schutz. Etwa hundert Meter unterhalb hörte man Getuschel. Am Saum zu einem kleinen Wäldchen tauchten Schatten auf. Einer davon eilte gebückt voraus. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe huschte über die angrenzende Wiese. Die anderen Schatten folgten ihm. Das Schreien eines Kindes war zu hören. In der Dunkelheit und Stille wirkte es sehr laut.
    »Da hinten«, flüsterte Fabienne. Über eine Waldbrücke preschte ein Geländefahrzeug heran. Die Schatten begannen zu rennen. Das Kind brüllte noch lauter. Stimmen erhoben sich. Der Geländewagen schaltete die Scheinwerfer auf dem Dach ein. Helle Strahlen erfassten die Flüchtigen, von denen einige ihre Sachen fallen ließen und die Hände in die Luft streckten, als hätten sie Angst, dass man auf sie schoss. Durch Lautsprecher kam die englische Durchsage, ruhig zu bleiben. Dann noch etwas in einer anderen Sprache, die Samuel nicht kannte. Fabienne startete den Elektromotor und nahm einen schmalen Pfad, der tief in den Wald hineinführte.

    Hätte sein Vater nicht die Nachricht auf der Mailbox hinterlassen, dass er in der Schweiz sei und ihn abends in Zürich erwartete, wäre Samuel nicht mehr bei Fabienne aufs Motorrad gestiegen. Die Stimme hatte seltsam geklungen. Abgehackt und monoton, irgendwie anders als sonst. Nervöser. So als würde er über jedes Wort zweimal nachdenken, bevor er es aussprach. Was war mit ihm los? Was wollte er mit ihm besprechen? Wider Willen machte sich Samuel Sorgen um seinen Vater. Sobald er ihn am Abend traf, hatte dieser Horrortrip endlich ein Ende. Je nachdem, was sich im Schließfach befand, würden sie einiges zu bereden haben.
    Auch wenn ihm der Gedanke im ersten Moment absurd erschien, fügten sich in Samuels Kopf einzelne Puzzleteile zu einem Ganzen zusammen. Als kleiner Junge hatte er sich oft vorgestellt, dass sein Vater ein berühmter Agent war, der wie James Bond ständig in die Krisenherde der Welt beordert wurde, um Bösewichte zur Strecke zu bringen. Der Gedanke hatte die vielen Umzüge erträglicher gemacht. Und auch die Geschäftsreisen seines Vaters, die wenige Zeit, die er für ihn hatte, konnte er sich dadurch erklären, ohne wütend zu sein. Er lächelte. Ja, das alles passte zusammen. Die Geheimnummer. Die vielen Reisen. Die wenigen Informationen, die er über seinen Job preisgegeben hatte. Auch wenn es sich verrückt, nein, kindisch anhörte: Sein Vater war ein Agent!

    Kayan konnte es nicht fassen. Vor ihm in der Reihe sprangen die Motoren an und er starrte in den Kofferraum, als hätte ihn der Schlag getroffen. Er spielte mit dem Gedanken, das Holzkästchen zu schließen und in den Wald zu schleudern. Weit weg. Auch wenn er keine Ahnung von Schmuck hatte – die Ketten, Armreife und mit Brillanten besetzten Ringe erweckten nicht den Anschein, aus der Kollektion eines Kaufhauses zu stammen. Wenn er damit an der Grenze geschnappt wurde, würde er in Erklärungsnot stecken. Selbst wenn er bei der Wahrheit bliebe und von dem alten Mann erzählte, würden sie ihn über Nacht dabehalten, um seine Aussage zu überprüfen. Womöglich würden sie ihn in eine Zelle stecken.
    Er stellte sich das ernste Gesicht des Zollbeamten vor. »Und der alte Mann hat Ihnen also auch gleich noch seinen Rollator überlassen?«, würde er fragen. Zum Umkehren war es zu spät. Die Infrarotkameras am Straßenrand würden sofort sein Kennzeichen an die Zentrale weitergeben und Alarm auslösen.
    »Es geht weiter«, rief ihm der Russe fröhlich zu. »Haben Sie Probleme?«
    »Musste nur die Goldbarren umlagern«, scherzte Kayan und legte die Decke über das Kästchen. Die Aussparung hinter dem Verbandskasten, wo er normalerweise seine Pistole versteckte, war zu klein, um die vielen Klunker darin zu verstecken. Er öffnete eine der Papiertüten. Von jeder Geschäftsreise brachte er Geschenke mit. Das hatte Tradition. Diesmal eine Puppe mit feuerroten Haaren und dazu passendem Kleid für Amélie und ein winziges Fußballtrikot von Inter Mailand für seinen zweijährigen Sohn. Für seine Frau hatte er ein neues Parfüm ausgesucht. Die

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