One Night Wonder
gebe ich unwillig zurück.
»Habe ich gehört, ich bin ja nicht taub«, pariert sie und sieht mir dabei forschend in die Augen. Ich sehe zur Seite.
»Sag es«, bohrt sie. Ich seufze tief. Das ist das Problem, wenn jemand einen zu gut kennt.
»Ich geh auf ein Konzert.«
»Wie? Konzert? Du mit deiner Platzangst? Ich hab mich schon gewundert, dass du dich das letzte Mal getraut hast!« Sie wühlt in ihrer Tasche nach ihren Zigaretten. Dann lässt sie sich plötzlich neben mir nieder.
»Moment mal: Sag nicht, dass es das ist, was du jetzt denkst, das ich denke!«
Ich nicke nur.
»Es hat dich erwischt!« Sie sieht mich an, als wäre ich ein Geist.
»Quatsch«, wehre ich ab und zerbrösele den Rest meines Schoko-Croissants.
»Doch! Na klar! Ich hätte es merken sollen. Du warst die ganze Woche lang wie aus den Angeln gehoben.«
»Das stimmt doch gar nicht.«
»Es hat dich erwischt«, sagt sie noch mal mit endgültigem Unterton, »und zwar richtig.«
»Puh, Jule, halt doch mal die Luft an!«, motze ich. »Ich geh mir nur die Musik anhören.«
Sie kichert und zeigt mir einen Vogel.
»Und vielleicht sehe ich ihn mir dabei ein bisschen an«, gebe ich zu.
»Jaja. Und dann gehst du brav nach Hause und gibst dich mit Bildern aus dem Internet zufrieden.«
»Was ist denn dabei?«
Jule hat endlich ihre Zigaretten gefunden und zündet sich hektisch eine an.
»Meine Güte, Lilly! Was ist denn das Problem? Jeder verguckt sich mal. Du hast jetzt lange genug die Jägerin raushängen lassen. Wenn er dir gefällt, dann gib es doch ruhig mal zu!«
»Natürlich gefällt er mir.«
»Okay, aber er beschäftigt dich doch wesentlich mehr als die anderen Typen. Oder?«
»Vielleicht«, gebe ich bockig zurück. Sollte ich ihr sagen, dass ich David auch gar nicht so schlecht finde?
»Nee, nicht nur vielleicht. Weißt du, was dein Problem ist? Du magst ihn. Du kennst ihn kaum, aber trotzdem ist da etwas, was du nicht erklären kannst. Du findest ihn attraktiv, aber nicht nur!« Sie macht eine Kunstpause, und ich nicke brav.
»Und wenn dieses Gefühl über bloße Anziehungskraft hinausgeht, dann hat man sich eben in jemanden verguckt«, doziert sie. »Wie heißt er eigentlich?«
»Lukas.«
»Und was meinst du: Hat Lukas auch was für dich übrig?«
»Keine Ahnung.«
»Wie ist es denn damals ausgegangen?«
»Er wollte meine Nummer, und ich bin gegangen.«
Jule verdreht die Augen. »Na toll, Lilly!«
»Hallo? Das ist mein Motto, verdammt! Keine Telefonnummern und nicht zweimal mit demselben.«
»Ja, aber zwischen euch war doch mehr! Das Gefühl hast du doch auch.«
»Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, weil ich ihn einfach nur scharf fand.«
»Einbilden? Das kann man gar nicht. Entweder jemand beschäftigt einen oder nicht. Das kann man nicht steuern.«
»Ich will es aber nicht.«
»Was willst du nicht?«
»Mich verlieben.«
»Jetzt sei mal nicht kindisch.«
»Doch. Es ist so. Mein Leben gefällt mir, so wie es ist!«
Jule lehnt sich zu mir herüber. »Soll ich dir mal was sagen? Du hast ’ne ganz schöne Meise unterm Pony. Wer sich so gegen seine Gefühle wehrt, dem ist einfach nicht zu helfen.«
Was soll ich darauf antworten? Jule pustet verächtlich den Rauch in die Luft.
»Und weißt du was?«, wirft sie noch hinterher. »Wenn es dir nur um deren Musik geht, dann komm doch morgen Abend mit uns mit, und ich besorg dir eine Live-CD von denen.«
»Ich werd’s mir überlegen«, bluffe ich.
Jule lächelt nur.
9. Kapitel
Das Wiedersehen
Da bin ich also wieder. Ich und die kleinen stickigen Clubs, wir werden wohl doch noch Freunde. Die Haare trage ich dieses Mal offen. Wie auch sonst immer positioniere ich mich eher abseits vom Geschehen, das Gerangel um einen Platz direkt vor der Bühne überlasse ich den kreischenden Sechzehnjährigen. Nach dem fünften Lied zieht er sein enges Shirt aus. Er ist verschwitzt, seine Haare kleben bereits an seinen Wangen. Ekstatisch haut er auf die Trommeln vor sich ein, verausgabt sich völlig. Manchmal bewegt er die Lippen zum Text mit. Ich starre ihn schon wieder an. Am Ende des Gigs kommen die Jungs wieder raus zum Autogrammeschreiben. Ich mag Gedränge immer noch nicht, deshalb halte ich mich weiter abseits. Irgendwann ist der erste Ansturm vorüber, und die Jungs plaudern mit einigen Fans.
Ich beschließe, mein Versteck zu verlassen. Langsam gehe ich auf das Grüppchen zu. Mein Herz klopft wie wild. Das kenne ich gar nicht von mir. Es macht mich unsicher. Ich
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