Oneiros: Tödlicher Fluch
ihrer Bibliothek, die auch als Gästezimmer fungierte.
Marna hatte augenscheinlich einen ausgefallenen, schrägen Geschmack. An den Wänden hingen gemalte Bilder, die jenseits der beliebigen Kunstdrucke aus einem typischen Möbelhaus lagen. Modern, mal düster, mal heiter, mal konkret, mal unkonkret.
Am besten gefiel ihm der Miró, den ein Künstler vor den Hintergrund von Da Vincis Mona Lisa verfrachtet hatte – nur ohne die Mona Lisa. In einem Flachbildschirm mit einer Diagonale von einem Meter wechselten sich Landschaftsmotive ab. Eine Collage zeigte die New Yorker Twin Towers, an denen die Flugzeuge der Attentäter abprallten, und ganz fett darüber stand in Comicschrift
The Boing-Boeing!
Konstantin dachte beim Anblick der Flugzeuge an den A 380 , an Paris und an Arctander, den er eigentlich jagen sollte anstelle von sagenhaften Schnitterringen. Es gab kein Entkommen vor seinem Verantwortungsbewusstsein.
»Guten Morgen.« Marna stand am Herd. Sie trug einen grau-blau karierten Pyjama mit einem grauen Bademantel darüber wie Jeff Bridges im Film
The Big Lebowski.
Das Outfit kaschierte ihre Figur. Ohne seinen Traum hätte er sich kaum Gedanken um das gemacht, was unter dem Stoff verborgen lag. »Frühstück ist gleich fertig. Ich hoffe, Sie haben keine Allergien?«
»Haselnusspollen.«
»Die benutze ich selten beim Kochen. Ich meinte Lebensmittel. Lactose, Gluten oder so was?«
»Haselnüsse. Passend zu den Pollen«, antwortete er grinsend und kam näher. Zerbo lag neben seinem Frauchen und beobachtete jeden Schritt. »Wann startet unser Helikopter?«
»Sobald wir möchten. Ich habe uns einen Flug für zwölf Uhr von Frankfurt aus gebucht. Das wäre in vier Stunden.« Marna nickte zum gedeckten Tisch. »Greifen Sie zu. Die Eier sind hartgekocht, ich kämpfe noch mit dem Espressozubereiter.«
Konstantin setzte sich. Beim Anblick der vielen guten Sachen bekam er sofort Hunger. Er langte nach einem Brötchen, schnitt es auf und bestrich es mit Butter, legte eine Scheibe Käse und eine Scheibe Wurst darauf. »Wollen wir uns nicht duzen?«
»Wieso?«, gab sie freundlich zurück. »Wegen unserer gemeinsamen Erlebnisse?« Sie nahm das Espressokännchen mit einem Topflappen vom Herd, in dem es brodelte und zischte. Schwarz plätscherte das Gebräu in die bereitstehenden Tässchen, die sie gleich darauf an den Tisch trug. »Das muss ich nicht haben, Korff.« Sie setzte sich ihm gegenüber und lächelte unverbindlich. »Ich nehme Ihnen übel, dass Sie mich in eine Sache hineingezogen haben, mit der ich nichts zu tun habe. Dafür verdienen Sie kein ›du‹.«
Meinetwegen.
Konstantin kaute. »Na ja. Sie kaufen und verkaufen illegal historischen Schmuck. Insofern hat es schon was mit Ihnen zu tun.« Er riss ein Stückchen Wurst von seiner Scheibe ab und warf es der Dogge hin.
Zerbo sah zu, wie es auf ihn zuflog und leise vor ihm auf den Steinboden klatschte. Er fraß es aber nicht und starrte stattdessen wieder Konstantin an.
»Mein Hund schließt ebenso wenig schnell Freundschaft wie ich«, kommentierte Marna amüsiert.
Konstantin bemerkte am Kühlschrank ein Bild von Marna und einem Mann, der gerade von ihr auf die Wange geküsst wurde und dabei fröhlich aussah. Handschriftlich war THE KISS OF THE OMEN darauf geschrieben, mit Silber, gefolgt von einem Herzchen. »Erzählen Sie ein wenig über diesen Markt.«
»Welchen Markt meinen Sie?«
»Den für historischen und … sagen wir, rätselhaften Schmuck.«
»Warum sollte ich?«
»Weil Sie jetzt wissen, dass ich nicht von Interpol bin, sondern Bestatter. Außerdem könnten wir ins Geschäft kommen«, versuchte er sie bei ihrer Geschäftsfrauenseele zu packen. »Ich sehe sehr viele Tote mit altem Schmuck, der mit ihnen begraben werden soll. Bislang habe ich diese Fundstücke anders zu Geld gemacht. Sie sehen, ich kann auch illegal.« Konstantin zog nicht eine Sekunde in Betracht, diese Lüge Wirklichkeit werden zu lassen. Dafür waren ihm die Toten zu heilig. Aber vielleicht half ihm die Geschichte bei Marna.
»Das ist gar keine so dumme Idee.« Marna öffnete einen Naturjoghurt, rührte um. »Keine Details und keine Namen«, machte sie vorab klar. »Ich habe ein Netzwerk aufgebaut, von dem viele Menschen und Einrichtungen profitieren. Museen, private Sammler, Ausstellungsmacher, historische Institute, und das auf der ganzen Welt. Die Schätze der Menschheit, die aus dem Boden geholt oder später auf einem Dachboden gefunden werden, brauchen ein Zuhause,
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