Oneiros: Tödlicher Fluch
sich nicht nehmen, um weiter an seiner Seite zu bleiben, bis er ihr den Audi TT bezahlt hatte. Der für sie unergiebige Ausflug nach Madrid war gerade noch so unter
geschäftlich
verbucht worden, die weiteren Streifzüge auf Firmenkosten abzurechnen, wäre der Buchhaltung schwer zu erklären. Außerdem war sie sauer, dass er den Ring nicht an Hoya verkauft hatte. Anstatt ihre Provision zu bekommen, hatte sie eine gehörige Portion »übersinnlichen Mist« gehört, der sie – wie sie ihm deutlich sagte – nicht interessierte. Ihr Standing als ehrenwerte Vermittlerin bei Hoya betrachtete sie als geschädigt, und das wiederum würde sich in ihrem Kundenkreis herumsprechen.
Konstantin streckte die Finger und überlegte, ob er den Ring überstreifen sollte.
Was geschieht dann? Geschieht überhaupt etwas?
Seine Vorstellungskraft ließ ihn Bilder sehen, wie der Schnitter im gleichen Moment den Kopf heben und ihm mit seiner Knochenfratze direkt in die Seele sehen würde, durch Raum und Zeit raubvogelgleich niederstieß, um die Gelegenheit zu nutzen, einen verhassten Todesschläfer zu vernichten. Mit einem einzigen, gewaltigen, lustvollen Schlag und einem lauten Freudenschrei.
Ihn fröstelte, und er erschrak, als er auf seine Hände sah. Unbewusst hatte er Harlekin’s Death über das erste Glied seines Zeigefingers geschoben.
Noch wenige Zentimeter, und er wüsste mehr.
Nein. Es ist zu früh.
Die Angst, für den Tod sichtbar zu werden und sofort zu sterben, konnte er nicht einfach ignorieren. Er wollte zu Iva, mit ihr Dinge erleben, überhaupt ein
Leben
mit ihr haben. Und vor allem musste er Arctander finden und aufhalten. Carolas Worte hallten in ihm wider, sie hatte ihm Mut gemacht.
Sein Smartphone machte sich mit einem Summton bemerkbar, Jesters Nummer wurde angezeigt.
Konstantin schaltete die Musik aus und nahm den Anruf entgegen. »Ja?«
»Life is too important to be taken seriously«, drang das nächste Wilde-Zitat durch den Hörer. »Aber in diesem Fall, alter Knabe, muss ich Oscar widersprechen. Das Leben der Menschen ist zu wichtig, um den Narko frei herumlaufen zu lassen.«
»Da gebe ich dir recht.« Konstantin legte den Ring auf das Kissen, der Opal schimmerte blauhell auf dem schwarzen Untergrund. »Konntest du mit meinen Informationen etwas anfangen?«
»Ja, danke. Ich habe meine Abteilung damit gefüttert. Sobald es Resultate gibt, melde ich mich.« Jester klang entspannt wie schon lange nicht mehr, als habe er viele gute Neuigkeiten und wollte sie genießerisch eine nach der anderen loswerden. »Bist du immer noch in Madrid?«
»Ja.«
»Wo?«
»Im Hotel Oro. Ich wollte in der Nähe des Flughafens sein, je nachdem, wo du mich hinbestellst.«
»Vorbildlich, alter Knabe. Glänzend! Bleib einfach, wo du bist. Ich habe ein Team nach Madrid geschickt. Sie werden sich bei dir melden. Es sind zwei
Topor’s Men
und zwei Freelancer, die tun werden, was du ihnen sagst. Erinnerst du dich noch an Johnny?«
»Ja. Ist er dabei?«
Jester bejahte. »Er hat sich in den letzten Jahren gemacht, und ich dachte, deine Rolle als Teamleiter wird dir leichterfallen, wenn du wenigstens ein Gesicht kennst.«
»Du kommst nicht?«
»Nein. Ich bin sozusagen die Spinne im Netz und versorge euch mit den News, die meine fleißigen Hacker, Abhörer und Satellitenspanner vom MI 6 besorgen.« Jester räusperte sich. »Arctander begeht zurzeit unglaubliche Fehler auf seiner Flucht. Er hat die falschen Identitäten fast alle aufgebraucht, und somit wird er beim nächsten Einchecken oder Bezahlen mit der Kreditkarte sofort auffallen. Wir sind vorbereitet.«
Konstantin legte sich aufs Bett, betrachtete die Decke. »Und wieso brauchst du mich dann noch?«
»Weil du ein guter Mann bist, Stan … ich meine Konstantin. Oneiros. Wie auch immer. Deine Vergangenheit prädestiniert dich für die Jagd auf Arctander«, sagte Jester. »Du bist der Einzige, der mir und meinen Teams mehr als einmal entkam. Und den
Phansigar
obendrein. Das macht dich zu einer Legende, auch wenn du dich zurückgezogen hast. Viele erinnern sich genau an den Namen Oneiros.«
»Das ist zwar schmeichelhaft, aber es gefällt mir dennoch nicht.« Konstantin richtete sich auf und öffnete die Minibar, um eine Flasche Cola herauszuholen. Er war müde, obwohl er vorhin eine Stunde im Bad geschlafen hatte, die Tür abgesperrt, damit der Zimmerservice nicht zufällig hereinkam und einen unerwarteten Tod starb. Zucker und Koffein mussten sein.
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