Oneiros: Tödlicher Fluch
gelesen hat.
Leise tickte die Küchenuhr, Sekunde um Sekunde verstrich.
»Iva, ich muss dir was sagen.«
»Ja?« Sie legte ihr Brötchen weg und drängelte nicht, sie tippelte nicht ungeduldig mit den Fingern. Iva saß einfach nur auf dem Stuhl, die Füße daruntergezogen und überkreuzt. Grazil und sexy, eine Frau, die er in seinem Leben haben wollte.
Die Angst ließ ihn nicht los, erstickte die guten Vorsätze von Ehrlichkeit und Offenheit.
Konstantin holte Luft, nahm innerlich Anlauf, blieb im Lächeln stecken, atmete doch nur aus und rieb sich über den Arm. Sein ganzes Leben hatte er verborgen, was ihn umgab, und nun, wo er einen besonderen Menschen gefunden hatte, dem er sich offenbaren wollte …
Vielleicht ist es doch zu früh.
»Die Tätowierung.« Iva deutete mit einem Nicken darauf. »Do not fall asleep, until … Hat es was damit zu tun? Und mit den vielen Narben?«
»Woher …« Konstantin erschrak, weil die Wahrheit plötzlich zum Greifen nah war.
»Warst du im Gefängnis?« Iva sah ihn ohne Angst an. »Wir haben nie über dich gesprochen. Ich weiß dank dir viel über Thanatopraxie, über den Umgang mit Leichen, ich kenne deine Hobbys. Aber du hast mir nichts über deine Familie erzählt, nichts aus deiner Kindheit. Oder über die Jahre vor dem
Ars Moriendi.
Ex-Sträflinge haben oft Angst, dass sie zurückgewiesen werden, wenn herauskommt, dass sie im Gefängnis saßen.« Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln, das seinen Mut zu ihm zurückbrachte. »Ist es bei dir so?«
Wenn du jetzt lügst, ist alles in Ordnung,
sagte ein leises Stimmchen in ihm.
Sie wird dein Verhalten auf Macken aus dem Knast zurückführen, und du kannst dein Geheimnis für dich behalten. Du musst es ihr nicht sagen. Was soll es bringen? Sie wird höchstens schreiend davonlaufen, weil sie nicht neben einem Monster …
Konstantin ballte die Hände zu Fäusten, um das Stimmchen zu erdrücken.
Iva bemerkte seine Reaktion. »Habe ich was Falsches gesagt?«
»Nein. Eher genau das Richtige. Nun, fast, weil …« Er hielt ihr die Tätowierung auf seinem Unterarm hin, als könnten die Buchstaben sich selbst erklären. »Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Du wirst mich für einen Wahnsinnigen halten oder für einen Killer oder …« Konstantin atmete wieder tief ein und spürte, wie sich der Schweiß unter seinen Armen sammelte.
»Weswegen warst du im Knast?«
Er konnte hören, dass sie eigentlich behutsam danach fragte, ob er ein Mörder oder Vergewaltiger war. »Ich war nicht im Knast. Ich war … Söldner.«
Iva entspannte sich, aber nur etwas. Auch Söldner konnten Mörder und Vergewaltiger sein. »Du hast Menschen erschossen. Willst du mir das damit sagen? Oder hast du mit einem Trauma aus deinen Einsätzen zu kämpfen?«
Es gibt kein Zurück mehr.
Konstantin zog die einzelnen Worte des Tattoos auf seiner Haut mit dem Finger nach. »You are all alone.«
Sie versuchte zu ergründen, was er meinte. »Ist das der Rest des Satzes?«
Er nickte und seufzte. »Do not fall asleep, until you are all alone. Schlafe nicht ein, bis du absolut alleine bist. Es ist ein Befehl an mich, eine Regel, eine Mahnung, vielleicht mein Lebensmotto.« Konstantin wollte aufspringen und hinausrennen, weil sich die Wahrheit im freien Fall befand und auf das Glück zuraste, dabei fetter und schneller und schwerer wurde. Wie ein Tonnengewicht auf eine Glasrose.
»Warum? Was geschieht, wenn du nicht alleine einschläfst?«
»Ich … sie … sie müssen sterben!«, rief er verzweifelt aus, seine Augen brannten.
Nur noch ein Satz!
»Sobald ich einschlafe, kommt der Tod.«
»Dann kommt der Tod, ja?« Iva hatte die Brauen zusammengezogen, sie sah verwundert aus. Verwundert und sehr, sehr ungläubig.
»Ja. Und er … er kann mich nicht sehen, und das macht ihn wütend. Aber er weiß, dass ich irgendwo bin, und tötet alles um mich herum, um seinem Hass auf mich Luft zu machen. Um … mir zumindest zu schaden und alles zu nehmen, was mich umgibt«, brach es aus ihm hervor. Er redete schnell und viel zu undeutlich.
Was wird sie tun? Was wird sie tun?
Iva beobachtete ihn, wie man einen Verrückten betrachtete, darauf wartend, was er wohl als Nächstes anstellte oder sagte.
Sein Geheimnis war offenbart. Konstantin wusste, dass er nun alles geben musste, um sie von dieser Wahrheit zu überzeugen. »Menschen wie ich nennen sich Todesschläfer. Ich bin unsichtbar für den Tod. Solange ich wach bin, droht dir keine Gefahr. Aber wie
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