Oneiros: Tödlicher Fluch
als ein Geräusch, als Heulen, als …«
»Sicher, Konstantin. Ich kenne noch andere, bei denen merkwürdige Dinge geschehen, sobald sie einschlafen. Die einen werden in ihre Traumwelt eingesogen, die anderen erleben Rückführungen in ein anderes Leben.« Sie küsste seine Hand, lehnte sich nach hinten und warf feixend ihre blonde Mähne zurück. »Sei froh, dass man mir nicht so leicht Angst einjagen kann, du klingst nämlich ziemlich überzeugend. Als würdest du das wirklich glauben. Und obendrein bist du noch Bestatter. Die Idee mit der Unsterblichkeit ohne Vorteile gefällt mir übrigens. Du solltest ein Buch daraus machen. Es ist tragisch und romantisch und sehr gruselig. Wie in einem traurigen Märchen.«
Konstantin fühlte sich schlecht.
Wieso hätte sie mir glauben sollen? Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, etwas, das höchstens in den Filmen passiert.
Ich habe es dir gesagt,
jubelte das Stimmchen.
Du hättest lügen sollen, um sie zu halten.
»Sollte ich wohl.« Er stand eilends auf und verließ die Küche, weil er es nicht mehr aushielt. Sein Geheimnis wurde nicht angenommen, Iva hielt es für einen Witz, eine lustige Idee, eine ausgedachte Geschichte.
Was tue ich?
»Ich muss gehen«, stammelte er. »Es warten noch ein paar Beerdigungen auf mich.« Er ging in den kleinen Flur hinaus.
»Konstantin?« Stuhlbeine scharrten über den Boden, Iva war aufgestanden. Sie hatte bemerkt, dass ihre Reaktion seinen fluchtartigen Aufbruch auslöste. »Was habe ich denn falsch …?«
»Nichts. Ich habe alles falsch gemacht. Ich dachte …« Er schüttelte hilflos den Kopf, warf ihr einen letzten Blick zu und rannte aus der Wohnung, nach unten, durch die Tür und mitten in den Schauer. Die Regentropfen benetzten sein Gesicht, die braunen Haare, durchtränkten das schwarze Polohemd, die Stoffhosen. Das Wasser lief in seine Turnschuhe.
Er fühlte sich verletzt, ausgelacht und hilflos. Sein Mut war gegangen, die Vernunft regierte in seinem Verstand.
Ich hätte es wissen müssen. Es war zu früh, viel zu früh für die Wahrheit. Ich darf sie nicht mehr wiedersehen. Das Zusammensein mit ihr würde in einer Katastrophe enden, mit ihrem Tod sogar.
Konstantin leckte sich über die Lippen, nahm den Geschmack des Regens auf.
Niemand kann verstehen, welcher Fluch mich umgibt. Es ist unmöglich.
Schritte erklangen auf der Treppe. »Konstantin, bitte, ich …«
Er sprintete los, die Straße hinunter, setzte über Poller hinweg, über Zeitungsverkaufskästen, kletterte über Autos, lief und lief, bis sein Atem schneller ging und er ins Schwitzen geriet. Konstantin hetzte durch Großbaustellen, in denen die ersten Arbeiter umherliefen und ihm verwundert nachriefen. Er kümmerte sich nicht darum, rannte und rannte.
Schließlich stand er keuchend in einem alten Hinterhof, das Haus dazu war von seinen Besitzern dem Verfall preisgegeben. Aufgegeben.
Schlimmes Seitenstechen zwang ihn, sich nach vorne zu beugen. Ihm war schlecht vor Anstrengung. Die Überanstrengung auf nüchternen Magen bescherte ihm schwarze Flecken vor den Augen, die Knie gaben nach.
Mit zitternden Beinen sank er auf einen Steinhaufen und ließ sich mit geschlossenen Augen die Tropfen auf den gesenkten Kopf prasseln.
Ich hätte es wissen müssen, ich Idiot. Ich kann nicht mit einer Frau zusammen sein. Ich darf es nicht.
Das stete Pochen der Tropfen auf dem Boden, auf umherliegenden Glasscherben, Holzbalken, Metalldosen, Steinen und die Einschläge in Pfützen erzeugten ein beschwichtigendes Konzert im sonst stillen Hinterhof.
Konstantin wurde allmählich ruhiger.
Er faltete die Hände im Nacken, öffnete die Augen und sah blinzelnd hinauf in die grauen Wolken, als wartete dort eine Eingebung und stürzte sich gleich auf ihn.
Muss ich sie wirklich aufgeben?
Das wäre nicht einfach bei dem, was er für sie empfand. Von Anfang an hatte sie ihn bezaubert, schon im ersten Moment, als er sie inmitten des Orchesters am Cello gesehen und sie seinen Blick erwidert hatte. Mit einem Lächeln.
Seine Flucht aus Ivas Wohnung erschien ihm nun, wo er ruhiger darüber nachdachte, kindisch. Sie machte eine Rückkehr zu ihr schwerer. Welche Erklärung konnte er ihr für sein Verhalten geben? Er hätte lachen und sie in ihrer Meinung, er habe einen Scherz gemacht, bestätigen sollen. Offenbar wollte sie keine Wahrheit. Vielleicht käme sie zu einem späteren Zeitpunkt damit zurecht?
Angenommen, er dachte sich eine gute Geschichte für das aus, was eben passiert war,
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