Onkel Schwein (German Edition)
angefangen positiv zu denken. Ganz bewusst negative Redewendungen vermieden und positive benutzt. Ich habe versucht, mich positiv zu programmieren. Habe mir selbst sogar Zettel geschrieben, auf denen Sätze wie „Ich werde es schaffen, ich bin gut!“ standen. Und ich habe gelernt, nicht den vergebenen Chancen oder Fehlern hinterherzuweinen, sondern mich an den schönen Dingen zu erfreuen. Die gab es nämlich auch. Immer. Ich habe begriffen, dass es nicht darum geht, andere Menschen zu ändern. Es geht um einen selbst, darum, wie man mit den erlebten Enttäuschungen, dem Verhalten der anderen umgeht. Wie man es an sich heranlässt.“
Sie lachte wieder.
„Ich habe mir Aufgaben gesucht. Mich ehrenamtlich engagiert. Ich habe sogar angefangen Fisch zu essen. Wegen der Omega-3-Fettsäuren. Die setzen angeblich Glückshormone frei. Dabei habe ich Meeresgetier immer gehasst.“
Sie schüttelte sich leicht.
Jetzt schluckte Teever, bevor er zum Sprechen ansetzte. Er spürte, dass ihm Tränen in die Augen zu schießen drohten.
„Ich hatte einen kleinen Bruder. Henrik. Wir waren ein Herz und eine Seele. Obwohl ich ein Jahr älter war, ging er immer voran. Er war der Draufgänger, ich der Bremser. Einmal waren wir bei einer Tante an der See. Ein warmer Sommer. In der Nähe ihres Hauses gab es einen Wendeplatz für die Busse, der von einer Felswand begrenzt war. Grauer, glatter Fels, vielleicht zehn Meter hoch. In der Nähe haben wir immer geangelt. Kleine Dorsche und manchmal Heringe. Meine Mutter hatte stets Sorge, dass einer von uns in die Strömung fallen könnte. Das Wasser zog manchmal recht schnell zwischen den Felsen hindurch. Der Malstrom, wie sie es nannte. Wir mussten deshalb lächerliche Rettungswesten tragen. Die anderen Kinder haben uns immer ausgelacht.
Teever verschränkte die Arme vor der Brust.
„An diesem Tag hatten wir kein Glück. Kein einziger Biss und ständig zogen wir Seetang an Land. Irgendwann gaben wir auf. Henrik schlug vor, an der Felswand zu klettern. Ich wollte nicht. Sagte, es wäre zu gefährlich, doch Henrik lachte nur. Ich wäre ein Feigling. Also ging ich mit. Zunächst ging alles gut. Wir waren fast oben, da rutschte Henrik ab. Vielleicht ein loser Stein oder Schweiß an den Händen. Ich weiß es nicht. Es war sehr heiß. Ich war ein Stück unter ihm. Er versuchte noch, sich an mir festzuhalten. Er zog mich mit. Ich konnte ihn nicht greifen. Wir knallten beide auf den Asphalt.“
Teever kämpfte jetzt wieder mit den Tränen. Lisa nahm seine Hand, sagte aber nichts.
„Es ist so lächerlich. Ich trug noch diese blöde Schwimmweste, weil der Reißverschluss nicht aufgegangen war. Henrik hatte nur eine dünne Turnhose an. Ich fiel auf den Rücken, aber mir passierte nichts. Keine Schramme, kaum ein blauer Fleck. Ich wollte schon erleichtert lachen. Das weiß ich noch, als ob es gestern gewesen wäre. Dann sah ich Henrik. Seine dünne Hose war beim Sturz gerissen, an einem Ast oder so, jedenfalls lag er nackt da. Er sah mich mit unendlich traurigen Augen an. Als ob er wüsste, was los war.“
Teever schluckte. Auch Lisa stiegen in der Vorahnung fast die Tränen in die Augen.
Er holte tief Luft. „Henrik konnte sich nicht bewegen. Er sah mich nur an. Ich weiß noch, dass ich seine Schwimmweste über seine Scham gelegt habe. Dann kam zufällig ein Anwohner vorbei. Der war aber total besoffen und hat alles noch viel schlimmer gemacht, als er versuchte, Henrik anzuheben. Sein gelalltes „komm zu Vater“ vergesse ich nie. Ich bin brüllend nach Hause gerannt. Sie haben ihn dann ins Krankenhaus gebracht. Niklas’ Rückgrat war gebrochen. Er ist am nächsten Tag gestorben.“
Lisa nahm Teever in den Arm und wiegte ihn leicht hin und her.
„Und seitdem gibst du dir die Schuld?“ fragte sie, die Antwort kennend.
„Ich war der große Bruder.“
„Und deine Eltern? Wie haben die darauf reagiert? Haben sie dir auch die Schuld gegeben?“
Teever schüttelte den Kopf.
„Wir haben nie darüber geredet. Es wäre ein Unfall gewesen. Gottes Wille.“ Teever lachte bitter.
„Ich musste nur jede Woche mit zum Friedhof.“
„Trinkst du deshalb nicht? Wegen des Besoffenen?“
„Kann das sein? Ich dachte immer, ich verliere nur einfach nicht gern die Kontrolle über mich.“
„Das tust du in einer Depression auch“, sagte sie hart und fügte dann weicher hinzu: „Mit wem hast du geredet?“
Teever sah Lisa an. Nach einer Weile sagte er:
„Mit dir.“
„Uih“, gab sie nach
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