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Onkel Wanja kommt

Titel: Onkel Wanja kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Kaminer
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Monitor das bittere Gefühl des Scheiterns und die Wonnen des Sieges kennen. Die meisten Spiele sind mir jedoch zu düster. Ich kenne sie bloß vom Computer meines Sohnes. Dort laufen die Helden fast immer durch irgendwelche Ruinen, verlassene Fabriketagen, zerbombte Städte und dunkle Sackgassen voller blutrünstiger Zombies. Sebastian braucht in der Regel zwei bis drei Wochen, um die Umgebung in einem solchen Spiel abzusichern und sich einigermaßen in den Ruinen zurechtzufinden. Dann legt er eine Erweiterungs-CD ein. Sein Held bekommt durch die Erweiterung einige neue Eigenschaften, kann vielleicht durch Wände gehen oder Zombies mit bloßem Blick töten. Mit jeder Erweiterung werden auch einige zusätzliche Fabriketagen oder dunkle Gassen eingerichtet und frische unverbrauchte Zombies heruntergeladen. Dann geht Sebastian wieder auf Mission. Wenn ich an seinem Zimmer vorbeigehe, höre ich, wie die Zombies schreien.
    In solchen Augenblicken denke ich nostalgisch zurück an die Spiele meiner Jugend: Sie liefen auf drei große Automaten, die im Vorraum des Filmtheaters »Brest« neben der Männertoilette standen. Ein Spiel kostete 15 Kopeken, fast so viel wie eine Kinokarte. Diese riesigen Geräte, die Vorboten der Computerspiele, hatten alle die gleiche Form und Farbe, nur dass bei einem ein Lenkrad herausragte, beim zweiten ein Gewehr und beim dritten ein Periskop. Mit dem Lenkrad konnte der Spieler einen Rennwagen steuern, der aber so langsam fuhr, dass man während der Fahrt Zeitung lesen konnte. Das Gewehr gehörte zum Schießstandautomaten, wo aber nicht auf Zombies, sondern auf Häschen und Eichhörnchen geschossen wurde.
    Mein Lieblingsautomat war der mit dem Periskop – hier spielte man Seeschlacht. Der Spieler schaute wie aus einem U-Boot über das Meer. Eine romantische liebliche Landschaft öffnete sich vor seinen Augen. Man sah ein ruhiges, aus grobem Karton ausgeschnittenes Meer mit kleinen Wellen bis an den Horizont. Am linken und rechten Rand ragten Kliffs empor. Am hellblauen Himmel klebte eine schnuckelige Sonne. Sie spiegelte sich sogar im Wasser. Ich konnte Stunden durch diese Röhre kucken. Das herrliche Bild verzauberte mich regelrecht, es war wunderschön und völlig umsonst. Wenn der Spieler aber eine 15-Kopeken-Münze in den Schlitz warf, piepte der Automat angestrengt und spuckte ein kleines Segelschiffchen aus. Das Schiffchen segelte zu pathetischer Musik ziemlich schnell von links nach rechts über das Meer. Um es zu versenken, hatte man drei Torpedos und dementsprechend drei Chancen. Die Torpedos erschienen auf dem Bild als rote blinkende Punkte, die sich langsam vom Spieler entfernten und am Horizont mit dumpfem Geräusch explodierten. Ob man das Schiff traf oder nicht, das Spiel war nach weniger als einer Minute zu Ende und das Geld weg. Deswegen zog ich es vor, nicht zu schießen, sondern nur das friedliche Panorama zu überwachen. Jedes Mal schaute ich im Kino vor und nach dem Film in die Periskopröhre, um zu prüfen, ob auch alles in Ordnung war. Ich wollte mich vergewissern, dass die Sonne noch da war und das ausgeschnittene Meer aus Karton und dass die Klippen immer noch an den richtigen Seiten standen. Ich fühlte mich für das Arrangement im Seeschlachtautomaten irgendwie verantwortlich.
    Aus heutiger Sicht ist diese Haltung lächerlich und äußerst unsportlich. Mein Sohn würde über eine solch sinnlose Spielzeitverschwendung wahrscheinlich nur lachen. Die Zeiten haben sich geändert. Ohne ein paar hundert abgeschossene Zombies geht man heute nicht mehr ins Bett. Ich habe den Syrern von dem sowjetischen Seeschlachtautomaten erzählt, und sieh an, auch sie konnten sich an dieses Modell erinnern, nur musste man bei ihnen noch die guten Schiffe von den bösen unterscheiden. Die guten hatten einen sowjetischen, die schlechten einen amerikanischen Stern, später war es umgekehrt.
    Langsam erhellte sich der Himmel. Wir saßen entspannt im Döner-Paradies und hatten keine große Lust mehr, irgendwohin zu gehen. Die Pappel draußen vor dem Imbiss streckte die ersten grünen Blätter der Sonne entgegen. Mir unbekannte Stadtvögel fingen an zu singen, der jugoslawische Taxifahrer rauchte nachdenklich vor sich hin, die Syrer flipperten.
    »Genau so stelle ich mir das Paradies vor«, sagte mein Onkel und machte sich ein neues Bier auf.
    »Aber ich bitte dich«, widersprach ich ihm, »was ist das für ein armseliges Paradies, in dem es außer Huhn, Döner, Bier und Flipper nichts

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