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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Bergwerkszeit, darunter Mineralien aller Art.
    Gern nahm Onkel Dave die Metalle und Mineralien aus seiner Vitrine, gab sie mir in die Hand und verbreitete sich über ihre wundersamen Eigenschaften. Ich glaube, er betrachtete die ganze Erde als ein riesiges natürliches Laboratorium, wo Hitze und Druck nicht nur gewaltige geologische Bewegungen verursachten, sondern auch zahllose chemische Wunder. «Schau dir diese Diamanten an», sagte er und zeigte mir Proben aus der berühmten Kimberley-Mine. «Sie sind fast so alt wie die Erde.
    Die Menschen haben oft versucht, Diamanten herzustellen», fügte er hinzu, «aber wir können nicht die Temperaturen und Drücke erzeugen, die dafür erforderlich sind.» [3]
    Einmal zeigte mir Onkel Dave einen großen Aluminiumbarren. Nach den dichten Platinmetallen war ich über seine Leichtigkeit verblüfft, er schien kaum schwerer zu sein als ein Stück Holz. «Ich zeige dir etwas Interessantes» - Onkel Wolfram nahm einen kleineren Aluminiumklumpen mit glatter, glänzender Oberfläche und bestrich ihn mit Quecksilber. Aus heiterem Himmel - wie unter dem Einfluss irgendeiner schrecklichen Krankheit - brach die glatte Oberfläche auf, und mit großer Geschwindigkeit wuchs eine weiße Substanz heraus, wie eine schwammige Geschwulst, erst einen halben Zentimeter hoch, dann einen Zentimeter, und sie wuchs weiter, bis das Aluminium vollkommen aufgezehrt war. «Du hast Eisen rosten - oxidieren, sich mit dem Sauerstoff der Luft verbinden - sehen, aber hier», so erklärte der Onkel, «hier beim Aluminium geht das eine Million Mal schneller. Der große Barren glänzt immer noch so schön, weil er mit einer feinen Oxidschicht bedeckt ist, die ihn vor Veränderung bewahrt. Durch das Einreiben mit Quecksilber wird die Oberflächenschicht zerstört, das Aluminium hat keinen Schutz mehr und verbindet sich in Sekundenschnelle mit dem Sauerstoff.»
    Für mich hatte der Anblick etwas Magisches, Wunderbares, aber auch ein wenig Erschreckendes - ein helles, glänzendes das nicht das Geringste anhaben. Nach einer Million Jahren würde er noch genauso hell glänzen wie jetzt.» Also zumindest das Wolfram war beständig in einer unbeständigen Welt.
    «Du hast gesehen», fuhr Onkel Dave fort, «wenn die Oberflächenschicht zerstört wird, verbindet sich das Aluminium rasch mit dem Sauerstoff in der Luft und bildet dieses weiße Oxid, das man Tonerde nennt. Es ähnelt rostendem Eisen - Rost ist ein Eisenoxid. Manche Metalle haben einen ungeheuren Appetit auf Sauerstoff und verbinden sich mit ihm, laufen an und bilden Oxide, sobald sie mit Luft in Berührung kommen. Einige ziehen sich den Sauerstoff sogar aus Wasser, weshalb man sie nur in versiegelten Behältern oder in Öl aufbewahren kann.» Onkel zeigte mir einige Metallklumpen mit weißlicher Oberfläche in einer Flasche Öl. Er holte einen Klumpen heraus und schnitt mit seinem Taschenmesser hinein. Ich war erstaunt, wie weich er war; noch nie hatte ich gesehen, wie man Metall so einfach schneiden konnte. Die Schnittfläche wies einen strahlenden, silbrigen Glanz auf. Dies sei Kalzium, so der Onkel, und es sei chemisch so aktiv, dass es in der Natur niemals als reines Metall vorkomme, sondern nur als Verbindung mit den Mineralien, aus denen man es gewinnen müsse. Die weißen Felsen von Dover seien aus Kreide, andere aus Kalkstein - beides verschiedene Erscheinungsformen des Kalziumkarbonats, eines der wichtigsten Bestandteile der Erdkruste. Das Kalziummetall war während unserer Unterhaltung vollkommen oxidiert. Seine eben noch glänzende Oberfläche war jetzt stumpf und kreideweiß. «Es verwandelt sich in Kalk, in Kalziumoxid.»
    Früher oder später endeten Onkels Monologe und Demonstrationen vor seinen Schaukästen immer alle bei seinem Metall. «Wolfram. Anfangs war niemandem klar, was für ein vollkommenes Metall es ist», so Onkel Wolfram. «Es hat den höchsten Schmelzpunkt von allen Metallen, ist härter als Stahl und behält seine Festigkeit auch noch bei hohen Temperaturen - ein ideales Metall!»
    Onkel behielt eine Vielzahl von Wolframstangen und -barren in seinem Büro. Einige verwendete er als Papierbeschwerer, andere hatten keine erkennbare Funktion, außer ihrem Besitzer und Schöpfer Vergnügen zu bereiten. Tatsächlich fühlten sich im Vergleich zu Wolfram sogar Stahl und Blei leicht, ein bisschen porös und schwach an. «Diese Wolframklumpen haben eine außerordentlich hohe Massenkonzentration», sagte er. «Sie wären tödliche

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