Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
Vom Netzwerk:
verschiedene Lebewesen - Insekten, Vögel und Mäuse - unter starken Beeinträchtigungen litten oder starben, wenn er den Luftdruck verringerte, manchmal aber auch wieder zu Kräften kamen, wenn er erneut Luft in den Behälter führte. Er war beeindruckt von dieser Ähnlichkeit zwischen Verbrennung und Atmung.
    Er untersuchte, ob eine Glocke durch ein Vakuum hindurch zu hören wäre (war sie nicht), ob ein Magnet seine Kraft durch ein Vakuum hindurch ausüben könnte (konnte er), ob Insekten in einem Vakuum zu fliegen vermöchten (ließ sich nicht beurteilen, weil die Insekten bei Verringerung des Luftdrucks «in Ohnmacht fielen») und wie sich der verringerte Luftdruck auf das Glühen von Glühwürmchen auswirkte (sie glühten weniger hell).
    Ich las die Berichte über diese Experimente mit großer Begeisterung und versuchte, einige zu wiederholen - unser Staubsauger war ein guter Ersatz für Boyles Luftpumpe. Mir gefiel auch der spielerische Charakter des ganzen Buchs, der sich grundlegend von den philosophischen Dialogen im Skeptischen Chemiker unterschied. (Tatsächlich war sich Boyle selbst dieses Unterschieds durchaus bewusst: «Ich verschmähe nicht, sogar scheinbar lachhafte Experimente zur Kenntnis zu nehmen, und denke, dass die Spiele von Jungen manchmal das Interesse der Philosophen durchaus verdienen.»)
    Boyles Persönlichkeit sagte mir ebenso zu wie seine unstillbare Neugier, seine Vorliebe für Anekdoten und seine gelegentlichen Wortspiele (etwa wenn er schrieb, er habe lieber mit luziferischen (luciferous) als lukrativen (lucriferous) Dingen gearbeitet). Trotz der drei Jahrhunderte, die zwischen uns lagen, konnte ich ihn mir als Person vorstellen - als eine Person, die ich gemocht hätte.
    Antoine Lavoisier, der fast hundert Jahre nach Boyle geboren wurde, gilt als der wirkliche Begründer und Vater der modernen Chemie. Schon vor seiner Zeit gab es einen enormen Bestand an chemischem Wissen und hohe Ausgeklügeltheit, überliefert zum Teil von den Alchemisten (sie entwickelten die Geräte und Techniken für die Destillation, die Kristallisation und eine Reihe weiterer chemischer Verfahren), zum Teil von Apothekern und natürlich in hohem Maße auch von den frühen Metallurgen und Bergleuten.
    Doch obwohl man bereits eine Vielzahl chemischer Reaktionen untersucht hatte, wurden diese Reaktionen nicht mit der Waage oder anderen Messgeräten verfolgt. Die Zusammensetzung des Wassers blieb so unbekannt wie die der meisten anderen Stoffe. Mineralien und Salze wurden nach ihrer Kristallform oder anderen physikalischen Eigenschaften, aber nicht nach ihren Bestandteilen klassifiziert. Man hatte keine klare Vorstellung von Elementen oder Verbindungen.
    Es gab einfach keinen übergreifenden theoretischen Rahmen, innerhalb dessen man die chemischen Phänomene hätte einordnen können, lediglich die etwas mystische Phlogistontheorie, von der man meinte, sie erkläre alle chemischen Verwandlungen. Phlogiston stand für das Feuerprinzip. Metalle seien brennbar, so dachte man, weil sie etwas Phlogiston enthielten, und beim Verbrennen würde dieses Phlogiston freigesetzt. Schmelze man hingegen ihre Erden mit Holzkohle, dann gebe die Holzkohle ihr Phlogiston ab und stelle das Metall wieder her. Mithin sei ein Metall eine Art Zusammensetzung oder «Verbindung» aus seiner Erde, seinem «Kalk» und Phlogiston. Jeder chemische Prozess - nicht nur das Schmelzen und Verkalken, sondern auch die Wirkung von Säuren und Alkalien sowie die Bildung von Salzen - ließ sich auf das Hinzufügen und Entfernen von Phlogiston zurückführen.
    Gewiss, Phlogiston hatte keine sichtbaren Eigenschaften, es ließ sich nicht in Flaschen füllen, nicht nachweisen oder wiegen, aber galt dies nicht gleichermaßen für die Elektrizität (auch so ein Phänomen, das im 18. Jahrhundert als äußerst geheimnisvoll und faszinierend empfunden wurde)? Phlogiston sprach die Menschen instinktiv, poetisch und mythisch an, denn es machte aus dem Feuer etwas zugleich Materielles und Geistiges. Doch ungeachtet all ihrer metaphysischen Wurzeln war die Phlogistontheorie die erste spezifisch chemische Theorie (im Gegensatz zu der mechanischen, korpuskularen, die Boyle in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts entwickelt hatte). Sie versuchte, chemische Eigenschaften und Reaktionen durch die Anwesenheit oder Abwesenheit oder Übertragung eines bestimmten chemischen Prinzips zu erklären.
    In dieser halb metaphysischen, halb poetischen Atmosphäre der

Weitere Kostenlose Bücher