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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schulz
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Sonne produzierte eine Lichtlache vor der Bucht, und der Blick auf die Favelas erschien gemildert.
    »Setz dich, setz dich«, sagte Fiona, doch Onno trat bis an den durchgängig mit noch blütenlosen Blumen bepflanzten Mauerkamm. Von dort aus erkannte er, daß vor dem Untergeschoß eine weitere, durch einen Treppenaufgang mit der hiesigen Terrasse verbundene Terracotta-Ebene lag, die weitläufig einen kobaltblau wabernden Pool rahmte. Vier wetterfeste weiße Liegen, nur eine polsterbelegt, vier weiße Sonnenschirme, nur einer aufgespannt. Im Hangschatten des Nachbargrundstücks stand, entfaltet, aber ohne Netz, eine Tischtennisplatte, und auf der entgegengesetzten Seite des Pools gab es ein kleines Nebengebäude im selben Stil, mit der gleichen Fassadenfarbe, dem gleichen Krüppelwalmdach, den gleichen Schindeln wie das Haupthaus. Dieses Nebengebäude hatte unterhalb der Traufenlinie drei kleine verglaste Fenster, und vor dem linken stand, bekleidet nur mit einer geräumigen, dünnen, langen weißen Hose, ein dunkelhaariger Mann mit üppigen, doch stromlinienförmigen Muskeln und herkuleischem Schulterjoch. Das rechte Blatt war mit einem farbigen Motiv tätowiert. Selbst aus dieser Perspektive relativierte sich die Hünenhaftigkeit des Burschen kaum, vielleicht, weil man von hier aus zu erkennen vermochte, daß er auf Zehenspitzen würde in die Dachrinne schauen können.
    »Ein Freund aus Hamburg.« Fiona war Onno – bis auf einen halben Schritt – gefolgt. Sie sagte es leise, heiser und in einer schweratmigen Tonlage, die sich von dem ihrer amselartigen Schwatzhaftigkeit auf schlecht faßbare Weise unterschied. Mütterlich? Nein, deutlicher von Eros getränkt. Von Sorge, Angst, Stolz, hormoneller Überforderung, ja, aber auch von Eros.
    Natürlich erkannte Onno ihn auf Anhieb wieder – allein am Gang. An diesem Schreiten eines mehrere Zentner Eigengewicht bewegenden Sibirischen Tigers. Ein erdschweres Wandeln war es, voller Gravität, und doch voll innerer Spannung. Der war so vertieft in sein Tun, daß er sie beide da oben an der Brüstung nicht wahrnahm. Plötzlich dehnte er sich, zeigte mit dem ausgestreckten linken Arm auf das linke Fensterchen, während er zugleich mit rechts ausholte, als wolle er einen Speer schleudern – und vollendete die entsprechende Bewegung in einem einzigen energiegeladenen Schnalzen des ganzen Körpers. Als schnappe eine Grizzlyfalle zu. Der Kerl war eine massive Waffe. Gleichmütig bückte er sich gleich darauf, suchte etwas auf dem Boden, klaubte es auf und nahm wieder Grundstellung ein.
    »Was«, fragte Onno ebenso atemlos leise, »macht er denn da?« Kam sich vor wie Großgrundbesitzer mit Enkelin, die den neuen Wildhengst bewundern.
    »Ach«, entgegnete Fiona, nun in unverhohlenem Flüsterton, »der versucht schon seit drei Stunden, eine Nähnadel durchs Fenster zu werfen.«
    »Vielleicht«, sagte Onno, »sollte er es aufmachen.«
    Fiona unterdrückte ein Kichern und knuffte ihn. »Nein, nein – die Nadel muß durch die Scheibe gehen, äy. Durchs Glas. Das ist eine der höchsten Übungen im Kung-Fu, weißt du?«
    [25]
    Damit begannen drei »irgendwie geile Tage«, so hatte Onno sich zwei Wochen später ausgedrückt, nachdem ich ihn gelöchert, ob ihm Begriffe einfielen, die auf seine mallorquinische Gemütslage passen mochten. Was genau es war, das die Qualität jener drei Tage ausmachte. Welche Wirkungen und Wechselwirkungen da im Spiel gewesen sein mochten.
    Doch schon kurz darauf bestritt er, von »geilen Tagen« in dem Sinne gesprochen zu haben, sondern im Sinne von »beruflich interessant oder so, nech« – ›beruflich‹, öff, öff! –, und das Präziseste, das ich ihm zu entlocken vermochte (und vielleicht wirklich das subjektiv Präzisestmögliche), war der verstümmelte Satz: »Irgendwelche alten Lebensgeister.«
    So daß ich auf Spekulationen angewiesen bin, will ich meine eigene Frage beantworten. Zwecks Erzählung der weiteren Entwicklung immerhin kann ich mich auf ausgiebige Schilderungen Onnos stützen.
    Fiona war grad im Haus, um den Wolfsbarsch im Ofen zu prüfen, als Onno von seinem Rattansessel aus verfolgte, wie Händchen schubweise aus dem Treppenaufgang emporwuchs. Sein kolossaler Torso glänzte vor Intensität, desgleichen der konturierte Schädel. Hart wie Riefenstahl. Die Y-Narbe auf der Wange glühte, und die muskulöse Miene drückte nicht gerade Befriedigung aus. Während er die Strecke zur überdachten Sitzgruppe mit wiegenden

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