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Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Titel: Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Orth
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Rucksäcke – »Koffer sind ungeeignet«, hieß es im Infoblatt des Trekkingveranstalters – samt Patrick kommen zu Julius. Die Reisegruppe steigt bei Vigo ein, einem Mann mit wettergegerbtem braunen Gesicht und dunklen melancholischen Augen. Sein Alter lässt sich nur schwer schätzen.
    Sobald wir den Schutz der Bucht von Tasiilaq verlassen, wird es ungemütlich. Packeis, schwere Brocken, wo man hinsieht, dazwischen verlaufen nur schmale Wasserwege. Das ist kein Meer, das ist ein weißes Labyrinth, dessen Mauern ständig in Bewegung sind. Steuermann Julius, ein braun gebrannter Kerl mit buschigen Augenbrauen, lässt seinen 150-PS-Motor aufheulen und rammt den Bug gegen knackende Eisschollen, um einen Weg freizupressen. Sobald die Durchfahrt frei ist, muss unser zweites Boot schnell nachkommen, weil die Blöcke in ständiger Bewegung sind. Schon Sekunden später kann der gerade entstandene Weg schon wieder versperrt sein.
    Plötzlich gerät Julius in eine Sackgasse. Er steigt vom Boot aufs Eis und blickt minutenlang mit zusammengekniffenen Augen nach Norden, um einen Ausweg zu finden.
    Vor 100 Jahren hätte man einfach das Boot aus dem Wasser geholt und über die Schollen getragen. Damals gab es hier nämlich nur zwei Arten von Fahrzeugen: Kajaks, Männerboote, und Umiaks, Frauenboote. Die Jäger von einst bauten ihre wendigen Einsitzerkajaks selber, sie waren maßgeschneidert für die Größe des Fahrers. Um ein Skelett aus Treibholz und Walknochen spannten sie einen wasserdichten Rumpf aus Seehundhaut. Ein ewiges Aufrüsten: Zwei bis acht Seehunde ergaben ein Kajak, mit dem konnten dann weitere Seehunde gejagt werden. Dazu verwendeten die Inuit Harpunen, an denen ein Seil mit einer luftgefüllten Blase befestigt war, die sie hinter ihrem Sitz verstauten. Nach einem Treffer warfen die Jäger den Ballon ins Wasser, damit die Beute nicht untergehen konnte. Sogar Weißwale und Narwale wurden so erlegt. »Das Kajak ist das unvergleichlich beste Einmannfahrzeug, das es gibt«, schrieb der Polarforscher Fridtjof Nansen.
    Auch die etwa neun Meter langen Umiaks dienten einst als Walfangboote. Sie waren weniger wendig als die kleinen Kajaks, dafür hatten 10 bis 15 Menschen darin Platz. Die Inuit schmückten sich zur Jagd wie für eine Hochzeit, weil sie glaubten, dass schmutzige Kleidung die Tiere verjagen würde. Oft gingen die Boote allerdings zu Bruch, wenn ein Wal mit seiner Schwanzflosse zuschlug. Im Jahr 1912 waren sie fast nur noch als Transportmittel im Einsatz.
    Julius hat gute Augen, von seinem Aussichtspunkt kann er eine brauchbare Route ausmachen. Noch eine halbe Stunde geht das Eisplattenschubsen weiter, dann sind wir endlich im offenen Wasser. Die Boote beschleunigen und springen über die Wellen, die Insassen werden ziemlich durchgeschüttelt. »Bitte beachten Sie, dass die langen Bootsfahrten den Rücken sehr beanspruchen. Sollten Sie Probleme mit dem Rücken, z. B. Bandscheiben, haben, raten wir Ihnen von dieser Reise ab«, hatte uns der Reisekatalog gewarnt, jetzt wissen wir, warum.
    Im Slalom rasen wir um Eisberge in phantastischen Formen. Wer glaubt, die Arktis sei karg und eintönig, wird auf so einer Fahrt eines Besseren belehrt. Wir passieren eine Sphinx, mehrere Torbögen, einen Bären aus Eis, ein Eis-Schaf, sogar ein Art buddhistischen Tempel. Vigo blickt verträumt auf die weißen Formen um uns herum, man spürt, wie sehr er diese Landschaft liebt.
    Von der Meeresbucht biegen wir nach links in den Ikasartivaq-Fjord, rauschen durch blaugraues Wasser zwischen mausgrauen Bergen mit dunkelgrauen Gipfeln unter hellgrauen Wolken.
    Plötzlich sind Holzhäuser am Ufer auszumachen. Wir halten in Tiniteqilaq, kurz Tinit, der letzten Ortschaft für die nächsten Tage. Die Häuser hier sehen verfallener aus als in Tasiilaq, die Farbe ist verblichen und abgeblättert, einige Scheiben zertrümmert. Doch der stark beheizte Supermarkt verfügt über ein beeindruckendes Sortiment: Haribo-Goldbären, Kuchenmischungen von Dr. Oetker, Knorr-Fertiggerichte, Oreo-Kekse, Ferngläser, Zahnbürsten und Zehn-Kilo-Säcke mit Hundefutter. Mein Vater kauft 20 Briefmarken.
    Tritt man wieder durch die schwere Metalltür nach draußen, hat man das Gefühl, in einer anderen Epoche gelandet zu sein. Fischhäute und Robbenrippen hängen zum Trocknen an Holzgestellen, in den Motorbooten der Einwohner liegen Schrotgewehre für die Jagd. Daneben treiben tote Seehunde im Wasser, die mit einer Schnur am Ufer fixiert sind: der Fjord

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