Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
vorbei. Doch tatsächlich bekommt man die besten Arktis-Skischuhe, die für die richtig kalten Extremtouren, auch heutzutage nur in Norwegen. Durch die Amundsen-Straße und über den Nansen-Platz laufe ich zum Sportgeschäft.
Der Verkäufer stellt mir einen schwarz-roten Stiefel mit fast kniehohen Goretex-Gamaschen hin, 600 Euro das Paar. »Ich leite selber Grönland-Durchquerungen, da empfehle ich immer diesen Schuh«, sagt er. Dann drückt er mir zwei beigefarbene Riesensocken aus einer Art steifem Filz in die Hand, noch mal 130 Euro. »Die kommen als Innenschuhe da rein, handgemacht aus Schafwolle.« Weil sie extrem fusseln, kommt noch eine blaue Übersocke darüber, um den teuren Schuh vor den teuren Flusen zu bewahren. »Die Dampfsperresocke habe ich leider nicht in deiner Größe da, aber Plastiktüten gehen auch«, erfahre ich dann. Das ausgefuchste System ist nämlich erst komplett, wenn man eine dünne Socke am Fuß trägt und darüber eine Art wasserdichten Plastiksack, auch Dampfsperre oder Vapour Barrier Liner (VBL) genannt. Der verhindert, dass Fußschweiß in die Schafwollfusselsocke gelangt. Ein perfekt durchdachtes System, diese vier Schichten: Um meinen Fuß vor der Kälte zu schützen, muss der Skischuh vor der Fusselsocke geschützt werden, die wiederum per Plastiktüte vor meinem Schweißfuß geschützt wird. Die denken an alles, die Norweger.
Abends treffe ich im Hostel Gregor Rückamp, er ist wie ich 32 und bereits gesetzt als Teilnehmer der Grönland-Durchquerung. Der athletische
1,95-Meter-Glatzkopf arbeitet als Verkaufsleiter in einem großen Outdoorgeschäft und ist in unserer größtenteils aus ziemlich fitten Sportlern bestehenden Gruppe so etwas wie der Supersportler. Mit mehrtägigen Transalp-Radrennen, Trailrunning-Wettbewerben und Fahrrad-Ultramarathons hält er sich in Form, wenn er nicht gerade an irgendwelchen Nordwänden in den Alpen herumklettert. Seine Marathon-Bestzeit liegt deutlich unter drei Stunden.
Zusammen fahren wir am nächsten Tag mit dem Zug nach Finse. »Willkommen am höchsten Bahnhof Norwegens«, sagt die Stimme aus dem Lautsprecher nach viereinhalb Stunden Fahrt. Willkommen in der Arktis hätte auch gepasst, denke ich beim Blick auf die komplett in weißen Schnee gehüllte Puderzuckerlandschaft vor dem Fenster.
Der Rest der Gruppe ist schon da, fröhlich begrüßen uns Wilfried, Harald, der Fotograf Jürgen Hohmuth und Jan von Szada, ein weiterer Durchquerungskandidat, an dem mir zunächst vor allem sein starker Berliner Zungenschlag auffällt. Sechs Leute sind wir, vier Pulkaschlitten haben wir dabei. Jeder besteht aus einer etwa zwei Meter langen Wanne, so groß wie ein Sarg, die oben mit wasserdichtem Stoff abgedeckt ist. Im Notfall kann man angeblich sogar schlafen in den Dingern. Natürlich bekomme ich als Greenhorn gleich mal den schwersten Schlitten. Er wiegt 70 Kilo und hat obendrein noch das schlechteste Zugsystem, Marke Eigenbau mit Autogurten, ständig verrutscht da was. Bei den ersten Schritten am Hang korrigiere ich innerlich mein bisheriges Wochenziel, zwecks Grönland-Qualifikation nicht unterwegs zusammenzubrechen, auf die Parole, zumindest am ersten Tag nicht zusammenzubrechen.
Um zu simulieren, wie es sich anfühlt, einen Pulkaschlitten bergauf zu ziehen, muss man nur einen Crosstrainer im Fitnessstudio auf eine ziemlich hohe Stufe einstellen, sich dann einen Gurt um die Hüfte legen und jemanden bitten, bei jedem Schritt mit einem festen Ruck daran zu ziehen. In Grönland werden zu den 70 Kilo Gewicht noch einmal 50 Kilo hinzukommen. Und trotzdem gerate ich schon jetzt stark ins Schwitzen, bin langsamer als die anderen und extrem erleichtert über jede Fünf-Minuten-Pause. Wenn es bergauf geht, rutsche ich trotz der Kurzfelle unter meinen Skiern rückwärts. Besonders kräftezehrend ist das Anfahren am Hang, was nur mit einem kräftigen Hüftschwung möglich ist, der mich in einer Art gedanklicher Übersprungshandlung an brasilianische Sambatänzerinnen denken lässt.
Einmal muss Gregor meine Pulka übernehmen, weil ich einfach nicht weiterkomme an einer Schräge. Bei ihm sieht das Manöver relativ lässig aus. Ich bin sehr erleichtert, als Wilfried endlich entscheidet, dass wir die Zelte aufbauen. Das kann ja heiter werden in Grönland.
Die nächsten Tage sind für mich ein Polar-Crashkurs. Das Prinzip ist, dass ich jede Menge dumme Fehler mache, die ich dann hoffentlich in Grönland nicht mehr wiederhole. Exemplarisch möchte ich auf
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