Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
drei Fehler genauer eingehen:
1. Bergab laufen ohne Handschuhe
2. Über Nacht eine Wasserflasche im Schlitten lassen
3. Den Weg zum Zelt vergessen
Nummer eins führt zu blutenden Schürfwunden an den Fingern, wenn man stürzt. Und man stürzt unweigerlich, wenn man zum ersten Mal mit einer Pulka bergab läuft, die mal stärker und mal weniger stark von hinten schiebt. Punkt zwei dürfte logisch sein, denn Minusgrade und Flüssigkeiten sind nicht die besten Freunde. Wie umständlich es jedoch ist, einen Liter Eis wieder aufgetaut zu bekommen, war mir neu. Selbst eine Nacht im Zelt änderte rein gar nichts am Aggregatzustand. Fehler Nummer drei unterlief mir auf einem nächtlichen Klogang zu einer 300 Meter entfernten Hütte. Ich war mir sicher, mir für den Rückweg die Richtung gemerkt zu haben, und vertraute darauf, bald die Lichter der Zelte zu sehen. Bei der Distanz hatte ich mich aber ziemlich verschätzt und suchte schon nach etwa 200 Metern den Hang nach dem Unterschlupf ab. Fußspuren waren nicht erkennbar und auch kein Licht, weil ein Schneesturm wütete. Nach zehn Minuten kam mir zum Glück eine Stirnlampe entgegengelaufen, das war Jan, nun ebenfalls auf dem Weg zum Klo, und damit wusste ich wieder, wo es langging.
Vorsichtig sollte man zudem beim Aufstehen von einem Sitzkissen sein, wenn man sich außerhalb des Zeltes befindet und starker Wind bläst. Ein fliegendes Sitzkissen kann dann nämlich eine Geschwindigkeit erreichen, die das Höchsttempo eines müden Schneewanderers um etwa das Dreifache übertrifft. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Wind plötzlich um 180 Grad dreht und das Eigentum zurückgibt, liegt bei annähernd null.
Manches lerne ich zum Glück auch, ohne die entsprechenden Fehler selbst zu machen: dass man Schneeschaufeln und Skier abends immer senkrecht in den Boden rammt, damit sie am nächsten Morgen noch auffindbar sind. Dass man Skier, wenn man sie als Hering benutzt, immer mit der Unterseite zum Zelt befestigt, weil sonst die Kanten die Rebschnüre durchsägen. Wie man eine Schneemauer baut als Windschutz für die Zelte. Dass man sich beim Laufen immer etwa alle zwei Minuten umguckt, ob die anderen noch da sind. Und dass mein Wellness-Lauftempo, also das, bei dem ich mich kaum anstrengen muss, langsamer ist als das der anderen. Oder, positiv gesehen: Ich bin oft der Anführer der zweiten Gruppe, weil beim Gänsemarsch mit der Zeit die Lücke vor mir immer größer wird, aber hinter mir aus höflicher Zurückhaltung keiner überholt.
Ich lerne, sehr genau in mich hineinzuhorchen. Wie gut oder schlecht es mir gerade geht, kann ich vom Atemzug/Stockschlag-Quotienten ableiten. Ein Atemzug pro drei Stockschläge bedeutet: alles entspannt. Zwei Atemzüge pro drei Stockschläge: ganz schön anstrengend. Drei Atemzüge pro drei Stockschläge: richtig Stress. Viel zu oft trifft Letzteres zu. Ich ahnte ja nicht, wie sehr man sich nach der nächsten Pause sehnen kann. Dazu macht auch noch der Pulkaschlitten Ärger. Immer wieder verrutschen die Gurte, die ähnlich wie ein Rucksack-Tragesystem angelegt sind. Plötzlich habe ich dann das ganze Gewicht auf dem Bauch statt auf der Hüfte, dann plötzlich den Großteil der Last auf der Schulter. Bei einer Acht-Stunden-Etappe raubt einem das den letzten Nerv, jeder einzelne Schritt tut weh. Und wer ständig anhalten muss, um den Gurt wieder neu zu justieren, kommt nie in einen vernünftigen Laufrhythmus.
Am dritten Tag erleben wir echte Whiteout-Bedingungen mit heftigem Sturm. Ich kann gerade noch den Schlitten vor mir erkennen und ab und zu einen der Äste im Boden, die als Routenmarkierung dienen. Aber die meiste Zeit ist es so, als würde man durch ein weißes Nichts laufen, der Boden lässt sich vom Himmel nicht mehr unterscheiden. Meine Sonnenbrille beschlägt, mein rechtes Auge tränt vom Seitenwind. Auch Jan hat Probleme, seine Pulka ist zu hoch gepackt und fällt immer wieder um. »Das wäre schon einer der extremeren Tage in Grönland«, sagt Wilfried später. Wie beruhigend.
Ich lerne, dass an meiner Hand zuerst Ring- und kleiner Finger, dann der Daumen, dann Zeige- und Mittelfinger frieren. Immer in dieser Reihenfolge. Wenn einem kalt ist, ist das schlimmer als die Anstrengung, schlimmer als Hunger oder Durst. Das alles spürt man erst wieder, wenn das Frieren aufgehört hat.
Ich lerne, dass Marzipan und Schokolade auf einer Wintertour zehnmal so gut schmecken wie zu Hause. Und selbst die Outdoor-Tütengerichte, bei denen nur noch
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