Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
wie wir da runter kommen sollen. In unserem Kurs scheint es vorläufig noch zu gehen. –
Ich kann jetzt auch weit weit da vor uns in der Tiefe den Fjord angefüllt mit Eisbergen und weit draussen in SSO das offene Meer mit seinem Treibeisgürtel erkennen. Die Sonne ist wieder für kurze Zeit untergegangen und lässt einen roten Schein am nördlichen Horizont. Das Gebirge ist ganz merkwürdig schön und wild. Eine schwache dünne silberne Mondsichel am Südhimmel.
Zuletzt kommt Hü dran mit dem Vorauslaufen. Es wird immer steiler; wir müssen schon manchmal mit den Pickeln bremsen. Die ganze vor uns liegende Landschaft stimmt garnicht mit der Karte überein!
19. August 2012
Grönland, Inlandeis
26 ziemlich dünne Schnüre in den Farben Gelb, Rot und Blau, ein Lenkstab und ein 16 Quadratmeter großes Kunststoffsegel: Dieses Konstrukt namens Kite soll die Fortbewegung auf dem Eis erheblich vereinfachen. Eigentlich.
Stab hochziehen, Segel kommt hoch. Dann auf Skiern einfach ziehen lassen und viel bremsen mit Schneepflug. Klingt nicht allzu kompliziert. Klappt auch für ein paar Meter gut, bis das Segel plötzlich unerwartet zur Seite ausbricht. Vollbremsung. Voll über die Schnüre, die scharfen Skikanten sägen dabei drei gelbe durch. Stehen bleiben, Fäden raussuchen, mit Knoten flicken.
Nach 20 Minuten ein neuer Versuch. Die Schnüre rächen sich für die schlechte Behandlung, indem sie sich wie wild verdrehen und verheddern. Plötzlich rotiert das Segel vor mir nur noch, dreht sich immer weiter. Und schon ist der Segelausflug für mich vorbei. Unentwirrbarer Schnursalat.
Ich packe das Segel zusammen und laufe fluchend auf Skiern hinter den anderen her, die schon am Horizont verschwunden sind. Mit Windkraft schaffen sie problemlos um die 15 km/h, zu Fuß schaffe ich maximal sechs. Eine schweißtreibende Stunde dauert es, bis ich sie eingeholt habe.
Wir beschließen, das Segel erst im nächsten Camp zu flicken, um jetzt noch den guten Fahrtwind zu nutzen. »Bei einer anderen Expedition hat das Entwirren schon mal drei Stunden gedauert«, sagt Wilfried. Ich nehme auf Gregors Pulka Platz als Passagier, Wilfried hängt meinen Zugschlitten hinter seinen. Drei Leute segeln, einer sitzt.
Und der ist schlecht gelaunt, eigentlich schon seit dem Aufstehen. Denn heute ist der Tag, an dem wir umkehren. Vorher konnte ich noch für manche Stunde verdrängen, dass wir kläglich gescheitert sind. Jetzt kann ich das nicht mehr, weil wir zurück nach Osten reisen.
Für meinen Opa waren die Etappen hier die schönsten auf der ganzen Tour. Erstmals seit Wochen, in denen er rundum nur Eis gesehen hatte, konnte er Berge am Horizont ausmachen. Er war nun voller Hoffnung, tatsächlich das Ziel zu erreichen, tatsächlich zu überleben.
Ich erlebe an gleicher Stelle den schlimmsten Tag meiner Inlandeis-Reise. Wir wären mit dieser leistungsstarken Vierergruppe weit gekommen auf dem Eis, davon bin ich überzeugt. Die nächsten drei Wochen hätten durch monotones, aber nicht extrem schweres Gelände geführt – eher eine mentale als eine körperliche Prüfung. Erst die Schlusstage der Tour wären wieder zum physischen Härtetest geworden. Doch nun werden wir nur knapp 300 Kilometer auf dem Eis gehen statt wie geplant 700.
Es muss ein sensationelles Gefühl sein, nach einer langen Reise durch die Kälte auf der anderen Seite der größten Insel der Welt herauszukommen. Doch statt darauf hoffen zu können, sitze ich jetzt rittlings auf einem Schlitten wie ein Kleinkind auf einem Bobby Car und lasse mich durchs Eis kutschieren. Weil ich zu blöd bin, um ein Lenksegel zu bedienen. Zumindest fehlt mir die Übung – vor ein paar Monaten in Zell am See habe ich mit einem moderneren Kitemodell meine Achten geflogen, das ganz andere Flugeigenschaften hat.
Die Reparatur am Abend ist eine echte Geduldsprobe. Wir lösen alle 26 Schnüre einzeln aus dem Knäuel heraus und hängen sie neu sortiert wieder in die vorgesehenen Karabiner. Gerade ist die Sonne untergegangen, es herrschen Minusgrade, die Hände werden so kalt, dass sie kaum noch zu bewegen sind. Sicher sind die anderen nicht glücklich darüber, dass sie wegen mir frieren müssen, aber keiner lässt sich etwas anmerken.
Mehr als eine Stunde sind wir zu viert beschäftigt, dann können wir das Ding endlich testen. Wilfried zieht die Steuerstange hoch. Alles am richtigen Platz! Mit Jubelschreien springt er an dem Lenkdrachen über das Eis.
Ich übe noch ein paarmal ohne Pulka
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