Operation Beirut
frühstückte und machte sich auf den Weg zur Grenze.
Noch vor 9 Uhr vormittags war Levi an der Grenze. Syrische Zollbeamte in Khakiuniform befragten die Reisenden und durchsuchten ihre Autos. Aber sie waren nicht das Problem. Die eigentliche Gefahr waren die Sicherheitsoffiziere an der Passkontrolle.
Levi ging ein letztes Mal in Gedanken seine Liste durch, als er den Wagen vor dem Kontrollpunkt zum Stehen brachte. Er war Jacques Beaulieu, bis in den letzten Winkel seines Gehirns. Im Geiste sah er die zu seiner Tarnidentität gehörenden Bilder an sich vorüberziehen, als würde er sich Schnappschüsse anschauen. Seine fiktiven Eltern, Brüder und Schwestern und die Freunde aus Marseille. Er wusste, wie jeder Einzelne von ihnen aussah: Haarfarbe, Augenfarbe, Größe, Gewicht. Für ihn war das ein Spiel; er glich darin einem Blinden, der sich die Konturen und Farben seiner Welt selbst erfand.
Mit seiner geschäftlichen Tarnung tat Levi sich leichter, da sie den Tatsachen entsprach. Der Mann mit dem Pass auf den Namen Jacques Beaulieu betrieb seine Geschäfte im gesamten Mittelmeerraum; es gab Hunderte von Leuten, die das hätten bestätigen können. Er kam nach Syrien, um einen Vertrag über den Export von landwirtschaftlichen Produkten auszuhandeln. Das entsprach der Wahrheit; er hatte die Papiere in seinem Aktenkoffer – den Vertrag getippt und zur Unterschrift bereit. Er war ein Kaufmann. Das war alles. Wer wollte ihm das Gegenteil beweisen? Seine Identität umschloss ihn glatt und eng wie ein Seidenhandschuh.
Levi parkte seine Citroën-Limousine. Er stieg aus und ging zum Büro der Passkontrolle hinüber. Er stellte sich in die kürzeste Schlange. Innerhalb einer Minute – viel zu schnell – stand er vor dem Fenster. Er spürte, wie ihm die Knie weich wurden, als er dem Beamten der Passkontrolle in die Augen sah. Er beruhigte sich, indem er sich die Schnappschüsse seiner fiktiven Eltern ins Gedächtnis rief.
«Papiere!», knurrte der syrische Beamte. Er war unrasiert; an seinen Lippen klebte eine Zigarette.
Levi reichte ihm seinen französischen Pass sowie seine libanesische Aufenthaltsgenehmigung. Theoretisch erlaubte ihm die Aufenthaltsgenehmigung, nach Belieben in Syrien ein- und auszureisen. Das war einer der Vorteile, den der Anspruch der Baath-Partei auf die Oberherrschaft über Groß-Syrien mit sich brachte. Die Existenz einer separaten Nation namens Libanon wurde offiziell nicht anerkannt. Aber das war reine Theorie.
Der Grenzbeamte musterte Levi misstrauisch. Nur keine Panik, sagte sich Levi. Die machen das immer so. Der Posten sah in ein dickes Buch voller arabischer Schriftzeichen. Scheiße! Warum die Verzögerung? Wonach suchte er? Stand Levi auf der Überwachungsliste? Der Sicherheitsbeamte sah Levi ein weiteres Mal durch fast geschlossene Augenlider an. Gegen seinen Willen, trotz all seiner Vorbereitungen, zitterte Levi. Er biss sich fest auf die Lippen und steckte die Hände in die Taschen, damit der Beamte nicht sehen könnte, wie sie zitterten. Das überstehe ich nicht, sagte er sich. Das ist die eine Fahrt zu viel. Ich bin ein toter Mann.
Der Beamte schrieb etwas in ein Buch. Levi sah zur Seite. Scheiße! Scheiße! Jetzt passierte es.
Aber Levi irrte sich. Der Posten gab ihm seine Papiere zurück und winkte ihn weiter. Der Mann in der Schlange hinter ihm drängte sich an das Fenster. Levi entschuldigte sich auf Französisch.
Pardon, pardon.
Er ging zu seinem Citroën zurück und fuhr ihn zu der Schlange vor der Zollkontrolle. Der schlimme Teil war vorbei, sagte er sich. Die Leute vom Zoll waren nur billige Halsabschneider. Manchmal wollten sie bestochen werden. Aber sie hatten es nicht auf Levis Leben abgesehen.
Levi kam ungeschoren durch, indem er den Mann vom Zoll eine Stange französischer Zigaretten «konfiszieren» ließ. Er hatte immer einige Stangen mehr dabei, als er brauchte; zur Ablenkung ungeratener Polizisten. Dann war er auch schon durch. Er entspannte sich auf dem gutgepolsterten Fahrersitz seines Citroën und spürte, dass ihm der Schweiß aus den Achselhöhlen zu beiden Seiten den Körper hinunterlief. Er hatte eine weitere Stunde seiner Ewigkeit der Angst überlebt.
Levi fuhr nach Osten in Richtung Damaskus, dann auf der großen Autobahn nach Norden auf Aleppo zu. Er war ein französischer Geschäftsmann auf Geschäftsreise. Er rauchte Zigaretten, eine nach der anderen, und drehte das Autoradio auf volle Lautstärke. Ein syrischer Sender spielte eine
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