Operation Beirut
Ballade der Fayrouz, in der es darum ging, dass die Araber eines Tages Jerusalem zurückerobern würden. «Die Pforten Jerusalems werden uns nicht auf immer verschlossen bleiben», sang sie. «Wir werden dich mit unseren eigenen Händen wieder aufbauen. Jerusalem, wir grüßen dich.» Levi kannte die Melodie. Er sang mit.
Levi erschrak einen Augenblick heftig, als er, kurz vor Homs, am Sendersuchlauf drehte und die Laute einer hebräischen Stimme über einen israelischen Sender hörte. Es war ein Werbespruch für eine Bank. Die Melodie ging leicht ins Ohr, und Levi ertappte sich dabei, wie er sie auf Hebräisch mitsang. Das ließ ihn in Panik geraten. In diesem einen Augenblick der Nachlässigkeit hatte seine wahre Identität die dünne Membran seiner Tarnung durchstoßen. Er zwang sich dazu, die Melodie zu vergessen, die ganze hebräische Sprache zu vergessen – für einige weitere Tage. Zum Mittagessen hielt er in Hama an und ging in ein kleines Straßencafé am Ufer des Orontes. Er saß neben dem Fluss, aß ein Kalbsschnitzel und schaute auf die alten Wasserräder, die den Fluss zu beiden Seiten säumten. Aus dem Augenwinkel bemerkte er einen Militäroffizier in der Kampfuniform der Inneren Sicherheitskräfte, der sein Auto unter die Lupe nahm. Das ist normal, sagte er sich. Sie überprüfen alle Wagen mit ausländischen Schildern. Reine Routine. Der Offizier nahm einen kleinen Block zur Hand und notierte sich etwas. Wahrscheinlich die Autonummer. Er ging weiter und hielt vor einem anderen Wagen mit libanesischen Schildern, einem Mercedes. Auch von diesem notierte er sich die Nummer. Das war einer der merkwürdigen Vorteile, wenn man in einem Polizeistaat arbeitete, stellte Levi fest. Sie ließen einen zwar keinen Augenblick aus den Augen; aber sie ließen auch sonst niemanden aus den Augen.
Levi kam am Abend in Aleppo an und stieg im Hotel Hovsepian ab. Es war ein geschmackvoller alter Kasten, den sich eine vornehme armenische Familie gebaut hatte, die Ende des neunzehnten Jahrhunderts nach Aleppo gekommen war. Levi setzte sich in die Bar und tauschte mit dem Besitzer Geschichten aus, ohne dabei zu viel über sich selbst zu sagen – das wäre dem Mann merkwürdig vorgekommen. Er enthüllte gerade genug, um seine Tarnung auszuschmücken, für den Fall, dass die Sureté in dieser Nacht vorbeischaute, um sich nach den Namen auf der Gästeliste des Hotels zu erkundigen.
Am nächsten Morgen weckte Levi der Gesang des Muezzins. In einem Reiseführer hatte er gelesen, dass man Aleppo die Stadt der tausend Moscheen nannte. An diesem Morgen hörte es sich ganz so an, als stünde das gesamte Tausend geradewegs vor seinem Hotelzimmer. Er badete, ließ sich beim Frühstück Zeit und bat den Portier um Tipps für eine Tour durch die Stadt. Dann verließ er das Hotel, um den ersten der vier Briefkästen zu leeren.
An diesem Morgen schien Levi Aleppo der abgelegenste Fleck auf der ganzen Welt zu sein. Im Umkreis von 100 Meilen gab es keinen zweiten Juden. Levi fühlte sich, als hätte er den Rand des Planeten erreicht. In den Straßen sah er die dunklen Gesichter der Türken, Tscherkessen, Armenier, Kurden. Die groben Gesichter der Händler, der Nomaden und der Bauern, die in dieser Ecke der Welt lebten – so weit ab vom Rest der Welt. Der Morgen belebte sich. Die Straßen füllten sich mit Leuten, und in der Luft lag der Duft von frischem Brot und kochendem Kaffee. Eine ganze Stadt voller Menschen, die Levi noch nie im Leben gesehen hatte, und so Gott wollte, auch nie wieder zu Gesicht bekommen würde. Er kam an einem Waisenhaus für armenische Kinder vorbei. Mein Gott!, dachte er. Weiter konnte man vom Garten Eden wohl nicht mehr entfernt sein als ein armenisches Waisenkind in Aleppo.
Levi ging zum Souk, der etwa eineinhalb Kilometer von seinem Hotel entfernt war. Mit seinem Irrgarten von schmalen Gassen und den vielen Ein- und Ausgängen war das ein idealer Ort, um Bewacher zu entdecken – und um sich zu verlaufen. Oft hielt er an und sah sich nach vertrauten Gesichtern um. Er kaufte sich an einem der Stände ein lackiertes Holzkästchen. Nach einer halben Stunde hatte er sich vergewissert, dass er «sauber» war. Niemand war hinter ihm her.
Er verließ den Souk durch eine kleine Gasse und ging in Richtung der Kreuzritterburg, von der aus man einen Blick über ganz Aleppo hatte. Die Burg war ein massiver Steinkasten, der grau und abstoßend die Stadt beherrschte. Sie war Zeugnis der seltsamen
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