Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Operation Beirut

Operation Beirut

Titel: Operation Beirut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
Vom Netzwerk:
geführt, die viel größer waren als das Land selbst; diese mussten bewacht und verwaltet werden. Es war ein neues Gefühl für die Israelis, als Besatzungsmacht zu handeln und die hass- und angsterfüllten Blicke ihrer besiegten Feinde zu sehen. Warum hassen sie uns so?, fragten sich die Israelis. Wir kämpfen doch nur für unser Recht, zu existieren.
    Während der frühen siebziger Jahre ging ein neuer Begriff in den allgemeinen Sprachgebrauch ein, der für das stand, wogegen Israel kämpfte. Und das waren weder die Ägypter noch die Syrer; die hatte man ja bereits überfahren; und mit Sicherheit waren es nicht die Palästinenser, deren Namen die meisten Israelis lieber nicht in den Mund nahmen. Es waren «die Terroristen». Sie waren der Feind Israels – und der gesamten übrigen Welt.
    Das Israel des Jahres 1972 schwelgte in seiner Alltäglichkeit, aber es fürchtete sich auch vor ihr. Das Land wurde gleichzeitig in zwei Richtungen gezogen: nach innen, in Richtung der besonderen und einmaligen Identität des jüdischen Volkes, die der Judaismus die gesamte Geschichte hindurch gefeiert hatte; und nach außen in Richtung universeller Werte und Gefühle.
    Levi überlegte, ob dies das Paradoxon des modernen Israel war: Wenn die Juden jetzt wie alle anderen waren, mit einem eigenen Staat und einer eigenen Armee, wie konnten sie dann immer noch etwas Besonderes sein und sich von allen anderen unterscheiden? Hatte Gott sie dazu auserwählt, nach einem fünftausendjährigen Leidensweg ein Volk mit so gewöhnlichen Problemen wie dem Kampf gegen den Terrorismus, der Aufrechterhaltung leicht zu verteidigender Grenzen und der Verwaltung okkupierten Landes zu werden?
     
    Levi warf sich auf seine neue Aufgabe. Er war eben in dem Augenblick nach Hause gekommen, als das Trauma «Schwarzer September» begann, und so gab es genügend Arbeit für seine Abteilung. Er verbrachte seine Tage damit, Informationen zu vergleichen und zu analysieren, um hinter der sich verlängernden Kette terroristischer Operationen in Europa ein Schema zu entdecken. Er durchkämmte die Archive auf der Suche nach Namen, Daten und Orten, die dazu beitragen sollten, das Rätsel des Schwarzen September zu lösen.
    Er kam nur langsam voran. Es gab Tage, an denen er so viel Zeit damit verbrachte, sich die Fotos verdächtiger Palästinenser anzusehen, die Abschriften abgefangener arabischer Mitteilungen zu lesen oder libanesische Zeitungen zu analysieren, dass er sich fragte, ob er Beirut tatsächlich verlassen hatte.
    Levi arbeitete mit zehn anderen Offizieren in einer Abteilung. Er war nicht der Ranghöchste, aber dank seines erst vor kurzem zu Ende gegangenen Aufenthalts in Beirut hatte er die größte Erfahrung, was die Analyse der Fedajin-Organisationen anging, und so unterwarfen sich die anderen Offiziere seinem Urteil. Nach und nach erkannte Levi auch, dass die Alte Garde des Mossad ihn als einen der Ihren betrachtete. Levi hätte nicht sagen können, warum dem so war – vielleicht wegen seines europäischen Hintergrundes –, aber es freute ihn. Solche Dinge spielten im Mossad eine große Rolle. Auf der gesamten Welt gab es keinen Privatclub, der, was Status anbelangte, eine ausgefeiltere Hierarchie aufzuweisen hatte als der israelische Geheimdienst.
    Die Mitglieder der Alten Garde waren fast alle außerhalb Israels geboren. Viele von ihnen waren zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges von 1948 als Nachrichtenoffiziere für die Haganah, die Lehi oder Irgun tätig gewesen. Sie waren aus allen Winkeln der Welt nach Palästina gekommen. Samt und sonders Flüchtlinge, waren sie in den dreißiger Jahren nach China, Russland, Indien oder Amerika geflohen – um von dort nach Eretz Israel zu gelangen. Sie schienen alle Sprachen dieser Welt zu sprechen. Stand eine Operation in Äthiopien an? Kein Zweifel daran, dass es im Mossad einen Mann gab, der fließend Amhara sprach. Stand eine Operation im Fernen Osten an? Dafür gab es Leute, die des chinesischen Mandarindialektes oder des Kantonesischen mächtig waren; das Gleiche galt für Japanisch, Koreanisch oder Thai. Und jeder Einzelne hatte während der Kriegsjahre gelitten, bevor er seinen Weg ins jüdische Heimatland gefunden hatte. Die Alte Garde war durch die grausamste Schule gegangen, die diese Welt je gekannt hatte; und sie hatte nicht die Absicht, die jungen Leute das vergessen zu lassen.
    Die jüngeren Mossad-Offiziere waren aus einem anderen Holz. Sie waren nicht aus der verzweifelten Welt des

Weitere Kostenlose Bücher