Operation Overkill
bedankte sich mit einem kurzen Nicken, ging in sein Büro, nahm den roten Aktenordner und setzte sich auf einen Armsessel am Fenster. Er winkte seinem Begleiter zu, dass er auf dem anderen Sessel Platz nehmen sollte. Nilow brachte eine zweite Tasse, goss Kaffee ein und stellte die Tassen auf einen niedrigen Tisch zwischen den beiden Sesseln. Dann zog er sich zurück und schloss leise die Tür hinter sich. Modin griff nach seiner Tasse und schaute den anderen Mann nachdenklich an. »Nun, Grigori. Was wollen wir unternehmen?«
General Grigori Petrowitsch Sokolow war eigentlich Modins Untergebener, aber die beiden Männer kannten sich schon so lange, dass aus der beruflichen Beziehung eine tiefe Freundschaft geworden war. Sokolow war ein kleiner, schlanker Mann mit einem freundlichen, offenen Gesicht und dichten grauen Haaren. Er sah nicht wie ein Russe aus, was sich im Laufe seiner Karriere schon des Öfteren als hilfreich erwiesen hatte. Wie Modin war er ein alter KGB-Mann, der die Zwölfte Abteilung des Ersten Hauptdirektorats geleitet hatte, eine etwas ungewöhnliche und sehr mächtige Einheit, die aus erfahrenen KGB-Offizieren bestanden und die Aufgabe gehabt hatte, ihre Opfer – westliche Militärs, Geheimagenten, Geschäftsleute und Regierungsmitarbeiter, die sich für die Sowjets als nützlich erweisen könnten – überall auf der Welt ausfindig zu machen und zu verfolgen.
Auch für ihn hatte sich durch die Umstrukturierung des KGB zum SWR so gut wie nichts geändert.
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Sokolow stellte seine Tasse ab. »Ich weiß es nicht, Nikolai. Wirklich nicht.« Er schwieg einen Moment und fragte dann: »Was können sie auf den Filmen erkennen?«
Modin seufzte. »Nicht allzu viel, glaube ich. Ich ha-be heute Morgen mit unseren technischen Spezialisten gesprochen, nachdem Nilow angerufen hatte, aber sie wissen nicht, wie gut die amerikanischen Kameras sind. Aber auch wenn sie ausgezeichnete Kameras hatten, können sie nur wenig sehen. Die Strahlungsdetektoren machen mir allerdings Sorgen. Und ich möchte gern wissen, weshalb sie überhaupt ein Spionageflugzeug losgeschickt haben.«
»Was meinst du damit?«, fragte Sokolow und warf ihm einen scharfen Blick zu.
»Ich meine damit, dass die Amerikaner seit Glasnost sehr zurückhaltend gewesen sind, was Aufklärungs-einsätze bei uns angeht. Sie sind sehr darauf bedacht, dass alle Welt eine gute Meinung von ihnen hat, und wollen nicht als Aggressoren dastehen. Warum also sollten sie das Risiko eingehen und ein Spionageflugzeug am helllichten Tag über die Tundra schicken?
Natürlich hätten sie durch unsere letzten Waffentests aufmerksam werden können, aber diese Erprobungen finden schon seit über einem Jahr statt.«
»Ja, Nikolai, aber das waren unterirdische Tests.
Der hier fand über der Erde statt.«
»Der erste und der letzte«, sagte Modin nickend.
»Sehr bedauerlich, dass es überhaupt zu einer überirdischen Explosion kommen musste. Dabei ging es 98
nicht einmal um eine Erprobung der Waffe. Man wollte lediglich sichergehen, dass der Zündmechanismus funktioniert. Dennoch, warum sollten die Amerikaner ein Flugzeug einsetzen?«
Sokolow trank einen Schluck Kaffee, dann wandte er sich wieder an Modin. »Hast du eine Idee, mein Freund?«, fragte er schließlich.
»Meiner Meinung nach«, erwiderte Modin, »gibt es nur zwei Möglichkeiten. Zum einen könnten die Amerikaner viel schlauer sein, als wir dachten. Vielleicht haben sie aufgrund seismografischer Messungen festgestellt, um was für eine Waffe es sich handelt.«
»Das bezweifle ich«, sagte Sokolow.
»Ich auch.«
»Natürlich«, fügte Sokolow nachdenklich hinzu,
»könnte der Flug auch nur eine Vorsichtsmaßnahme gewesen sein. Sie könnten aufgrund ihrer seismografischen Aufzeichnungen festgestellt haben, dass dieser Versuch nicht die typischen Merkmale einer auf Kernspaltung oder Kernfusion beruhenden Waffe aufwies, und beschlossen haben, dass sie sich nur mittels eines Spionageflugzeugs Klarheit verschaffen können.«
»Einverstanden«, sagte Modin. »Aber angesichts der derzeitigen politischen Verhältnisse halte ich das für unwahrscheinlich.«
»Unwahrscheinlich ja, aber möglich wäre es.« Wieder nickte Modin, diesmal fast widerwillig. »Du hast gesagt, es gibt zwei Möglichkeiten«, fuhr Sokolow fort. »Wie lautet die zweite?«
Modin senkte den Blick. »Es gefällt mir ganz und 99
gar nicht, Grigori, aber meiner Ansicht nach gibt es ansonsten nur noch eine Möglichkeit – jemand
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