Operation Romanow
sich Lydia um und ging auf das Herrenhaus zu.
Boyle schüttelte sprachlos den Kopf.
Andrew lächelte. »Diese Frau kann anscheinend gut auf sich selbst aufpassen.«
45. KAPITEL
Briar Cottage, Irland
Hanna servierte in der Küche des Herrenhauses ein einfaches Abendessen: gebratenes Hühnchen, Kartoffeln und Kohl. Zum Nachtisch gab es Apfelkompott mit Vanillesoße. Boyle öffnete eine Flasche Burgunder. Nach dem Essen stand er auf und goss den Wein aus einer Karaffe in die Gläser. »Ich finde, dass wir schon so weit gekommen sind, ist Grund genug, um miteinander anzustoßen. Prost!«
»Wer sind Sie, Boyle?«, fragte Andrew. »Für wen arbeiten Sie? Ist es nicht Zeit, es uns zu verraten?«
Boyle stellte einen Fuß auf den Stuhl und legte eine Hand aufs Knie. »Ich bin Geschäftsmann und Abenteurer, ein Mann, der sich mit mehr Dingen beschäftigt, als gut für ihn ist. Ich habe mein Vermögen während des Klondike-Goldrausches in Kanada gemacht und einen Teil davon in Eisenbahnen investiert. Dadurch erwarb ich beträchtliche Fachkenntnisse. Das führte dazu, dass mich die russische Übergangsregierung bat, ihr gesamtes Eisenbahnnetz zu verwalten. Diesbezüglich herrschte ein heilloses Durcheinander. Später habe ich dasselbe für die Bolschewisten gemacht.«
»Sie haben für die Roten gearbeitet?«, fragte Lydia verwirrt.
Boyle presste die Zähne aufeinander. »Bis ich Zeuge ihrer Brutalität wurde und sah, dass ganze Städte zerstört, Dörfer ausgelöscht und ihre Bewohner hingerichtet wurden. Der Tiefpunkt kam, als ich eine Stadt besuchte, wo ein dreizehnjähriger Junge den Mut besaß, eine Fahne des Zarenreiches auf dem Marktplatz aufzuhängen. Der Kommissar der Roten ließ den Jungen an die Wand stellen und erschießen. Dann wurde der Leichnam als Warnung für andere an einem Telegrafenmast aufgehängt.
Nach diesem Ereignis schwor ich mir, alles zu tun, damit den Roten genauso unbarmherzig die Macht entrissen wird, wie sie sie ergriffen haben. Im letzten Jahr habe ich ein Netzwerk von über vierhundert Agenten in Russland aufgebaut, um Informationen zu sammeln.«
Lydias Blick wanderte von Boyle zu Hanna. »Sie haben noch immer nicht verraten, für wen Sie arbeiten.«
»Man könnte sagen, dass wir nur die Spitze eines sehr komplexen Eisberges sind. Haben Sie schon mal von dem Heiligen Johannes aus Russland gehört?«
»Er war ein Priester, der heimlich Gutes tat.«
»Richtig.« Boyle nahm einen Stift und ein Notizheft aus der Tasche und legte beides auf den Tisch. »Die Bruderschaft des Heiligen Johannes von Tobolsk ist eine Art Vermächtnis, ein Geheimbund, wenn man so will. Die Mitglieder stammen aus allen sozialen Schichten.«
Er nahm den Stift in die Hand. »In diesem Augenblick hat die Bruderschaft ein einziges Ziel: die Romanows davor zu retten, niedergemetzelt zu werden. Hanna und ich sind bereitwillige Komplizen. Ich zeige Ihnen etwas.«
Boyle schlug ein leeres Blatt in seinem Notizheft auf und malte eine sonderbare Skizze auf die Seite. Es war eine spiegelverkehrte Swastika.
»Das Zeichen der Bruderschaft ist ein Symbol für Liebe, Glaube und Hoffnung. Dem Zeichen werden Sie auf Ihrer Reise begegnen. Durch dieses Symbol können Sie Kontakt zu den Mitgliedern der Bruderschaft aufnehmen.«
Hanna stellte ihr Glas ab. »In Tobolsk, wo die Zarenfamilie zuletzt gefangen gehalten wurde, wurden mehrere Rettungsversuche unternommen. Daher stammt auch der Name der Bruderschaft. Seitdem die Familie in Jekaterinburg ist, gab es zwei weitere Versuche – alle sind gescheitert. Aber diesmal, glauben wir, haben wir eine Chance.«
»Und wenn wir Jekaterinburg nicht erreichen?«, fragte Lydia.
»Hanna und ich begleiten Sie«, sagte Boyle. »Ich hoffe, dass zumindest eine Gruppe von uns es schafft und die Rettung durchführen kann. Wir gehen genau dieselben Risiken ein wie Sie. Wir reisen mit Ihnen nach Russland, fahren aber auf getrennten Wegen nach Jekaterinburg, wo wir uns hoffentlich treffen werden.«
»Haben Sie keine Angst, dass wir den Roten alles verraten, falls wir geschnappt werden?«, fragte Lydia.
Boyle lächelte. »Nein, denn ich bin sicher, dass Sie beide vernünftige Menschen sind.«
»Was soll das heißen?«
»Die Roten gehen mit ausländischen Spionen brutal um. Wenn es sich um eine Frau handelt, wird sie höchstwahrscheinlich vergewaltigt und gefoltert, ehe sie getötet wird. Wenn Sie geschnappt werden, sind Sie so gut wie tot. Aber ich helfe Ihnen, zu viele Unannehmlichkeiten zu
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