Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
sicher? Wir haben zwar ihre Geschichte akzeptiert, aber ich habe in der Akte gelesen, daß ein hochrangiger finnischer Geheimdienstmann, der die Frau verhört hat, ihre Story anzweifelt und behauptet, wir wären reingelegt worden. Er traute der Lady nicht über den Weg.«
»Ich habe ihr damals geglaubt, und ich vertraue ihr auch jetzt noch.« Massey zögerte, und seine Miene verriet leise Zweifel. »Aber Sie setzen voraus, daß sie uns helfen wird. Warum sollte sie? Sie ist schon einmal durch die Hölle gegangen.«
»Das habe ich gelesen. Vermutlich müssen wir uns auf IhrWort verlassen, daß sie vertrauenswürdig ist. Und ich traue Ihrem Urteil, Jake. Und was den Grund dafür angeht, daß die Frau dabei ist … Sie wird ein Motiv haben. Jedenfalls werden wir ihr eins geben.«
»Welches Motiv?«
Der stellvertretende Direktor grinste zufrieden und wandte sich an Branigan. »Karl, schenken Sie uns doch bitte einen Drink ein, während ich es Jake erkläre. Ich glaube, wir werden anschließend einen Schluck brauchen.«
Zwei Stunden später betrat Massey sein Haus östlich von Georgetown.
Er rief das Internat in Richmond an und sorgte dafür, daß er seinen Sohn am nächsten Tag sehen konnte. Er freute sich auf den Jungen. Er wußte, daß er kein so guter Vater war, wie er hätte sein sollen. Aber er spürte, daß der Junge ihn irgendwie verstand.
Dann ging er ins Bad und spritzte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht.
Er betrachtete sich selten im Spiegel, aber an diesem Abend fiel ihm auf, daß er älter aussah als einundvierzig. Er hatte in seinem Leben viele unerfreuliche Dinge gesehen, doch die Erinnerung an die beiden Erschossenen in der Leichenhalle, an die Löcher in ihrem Kopf, an die Spuren, welche die Nagetiere hinterlassen hatten, machte ihm zu schaffen.
Er kannte Max Simon schon lange Zeit und hatte ihn sehr geschätzt. Sie waren zusammen aufgewachsen, gemeinsam in das OSS eingetreten und ihr ganzes Leben lang Freunde gewesen. Max war ein jüdisches Kind, dessen Vater von den Kommunisten umgebracht worden war. Wie Massey und sein Vater, so hatte auch Max auf einer entbehrungsreichen Schiffsfahrt im Winter Amerika erreicht.
Massey blickte auf seinen Unterarm, als er den Hemdsärmel hochrollte.
Auf seinem Handgelenk befand sich eine kleine Tätowierung, eine weiße Taube. Sie waren zwei Straßenjungen gewesen, hatten sich auf Coney Island amüsiert und waren hinter den Mädchen her gewesen. Max hatte erklärt, sie sollten sichtätowieren lassen, um ihre Freundschaft zu untermauern. Max war ein herzensguter Mensch gewesen, der nur das Beste für seine Wahlheimat wollte. Von der Familie war ihm nur seine kleine Tochter geblieben. Massey schüttelte den Kopf und spürte heißen Zorn in sich aufsteigen. Er trocknete sich das Gesicht ab und ging in sein Arbeitszimmer.
Er erledigte die nötigen Telefonate, schenkte sich einen großen Schluck Scotch ein, nahm einen Notizblock und einen Stift und ging den Plan noch einmal durch, um Fehler zu suchen.
Der stellvertretende Direktor hatte in einem Punkt recht: Mit diesem Plan konnte Massey etwas anfangen. Gleichwohl barg er zahllose Gefahren. Stalins Moskau war ein abgeschotteter Ort. Es war nur wenigen Westlern erlaubt, die Stadt überhaupt zu betreten.
Er dachte an Anna Chorjowa, während er am Scotch nippte, und machte sich Notizen auf dem gelben Block. Es war seine Aufgabe, die Einzelheiten des Plans festzulegen, und obwohl Annas Hintergrund ideal für die Mission war, mißfiel es ihm, sie zu benutzen. Laut Branigan waren die letzten Berichte ihres Führungsoffiziers günstig. Anna hatte sich in ihr neues Leben eingefunden und machte gute Fortschritte. Doch Massey fragte sich ernstlich, ob sie einer solchen Mission geistig und körperlich gewachsen war. Immerhin waren kaum drei Monate seit ihrer Flucht vergangen. Außerdem wußte er, daß er Anna in den sicheren Tod schickte, falls der Plan fehlschlug.
Und es störte ihn auch, sie gemeinsam mit Slanski nach Moskau zu schicken.
Branigan hatte ihm Slanskis Akte ausgehändigt, und sie bot ihm eine interessante Lektüre, obwohl er schon länger über Slanskis Aufgabengebiet Bescheid wußte.
Slanski war geborener Russe und naturalisierter amerikanischer Staatsbürger. Er war fünfunddreißig Jahre alt. Massey und er hatten während des Krieges zusammengearbeitet. Slanski gehörte zu der kleinen Gruppe von speziell ausgebildeten Attentätern, die das OSS in das besetzte Frankreich und nach Jugoslawien schickte,
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