Opferlämmer
alternative Energien teilgenommen.« Er hob den Kopf. »Die Firma hat kürzlich die Fundamente für einige Fotovoltaikanlagen errichtet.«
»Solarenergie.« Rhyme musterte abermals die Beweise. »Und die Opfer in dem Bürogebäude? Sachs, ruf Susan Stringer an und finde heraus, ob sie irgendwas über die Männer weiß.«
Sachs nahm ihr Telefon und führte ein kurzes Gespräch mit der Frau. Dann trennte sie die Verbindung. »Okay, sie kennt weder den Anwalt noch den Mann, der im fünften Stock zugestiegen ist. Larry Fishbein, den Buchprüfer, kannte sie immerhin flüchtig. Sie hat ihn klagen gehört, mit den Unterlagen der Firma, die er derzeit prüfe, stimme etwas nicht. Irgendwelches Geld würde verschwinden. Und wo auch immer der Firmensitz sein mag, es ist dort sehr heiß. Zu heiß zum Golfen.«
»Vielleicht Arizona. Ruft an und fragt.«
Sellitto ließ sich von Sachs die Nummer geben und rief Fishbeins Arbeitgeber an. Die Unterredung dauerte einige Minuten. »Bingo«, sagte er dann. »Fishbein war in Scottsdale. Am Dienstag ist er zurückgekommen.«
»Ah, Scottsdale … Wo auch Vetters Firma beheimatet ist.«
»Und was bedeutet das, Lincoln?«, fragte McDaniel. »Ich sehe noch immer kein Motiv.«
» Andi Jessen steht erneuerbaren Energien ablehnend gegenüber, richtig?«, antwortete Rhyme nach einem Moment.
»Das ist ein wenig zu hart formuliert«, sagte Sachs. »Aber sie ist eindeutig kein Fan.«
»Könnte es sein, dass sie alternative Stromanbieter besticht, damit die ihre Produktion künstlich niedrig halten? Oder dass sie diese Firmen irgendwie sabotiert?«
»Damit Algonquins Marktanteil nicht sinkt?«, fragte McDaniel. Das mögliche Motiv schien seine Zweifel zu beschwichtigen.
»Genau. Vetter und Fishbein wussten womöglich etwas, das Jessen gefährlich werden konnte. Falls nur diese beiden Männer ermordet worden wären, hätte die Polizei eventuell Verdacht geschöpft. Daher hat Andi diese Anschläge inszeniert, damit die zwei wie zufällige Opfer aussehen würden. Deshalb waren die Forderungen auch so aberwitzig, dass man sie unmöglich erfüllen konnte. Sie sollten gar nicht erfüllt werden. Die Anschläge mussten stattfinden.«
Rhyme sah Sachs an. »Besorg uns die Namen der Verletzten und deren Hintergründe. Einer oder mehrere könnten ebenfalls Zielpersonen gewesen sein.«
»Mach ich.«
»Wir haben aber noch einen dritten Erpresserbrief bekommen, die E-Mail«, mahnte Sellitto. »Das heißt, es soll noch jemand sterben. Wer könnte das sein?«
Rhyme tippte so schnell wie möglich weiter und schaute nur kurz zu einer Digitaluhr an der Wand. »Ich weiß es nicht. Und uns bleiben weniger als zwei Stunden, um es herauszufinden.«
… Einundsiebzig
Trotz der schrecklichen Anschläge, die Ray Galt verübt hatte, konnte Charlie Sommers nicht leugnen, dass er vor Aufregung wie, nun ja, elektrisiert war.
Er hatte eine Kaffeepause eingelegt und währenddessen eine mögliche neue Erfindung skizziert (natürlich auf einer Serviette) : eine Wasserstoffzufuhr für Haushalte, um dort Brennstoffzellen zu speisen. Nun kehrte er zurück auf die Hauptetage der New Energy Expo im Manhattan Convention Center, gelegen an der West Side, unweit des Hudson River. Hier hatten sich zurzeit Tausende der innovationsfreudigsten Leute der Welt versammelt: Erfinder, Wissenschaftler, Professoren und auch die unverzichtbaren Investoren, die sich alle einem gemeinsamen Thema widmeten, nämlich den alternativen Energien. Der Erzeugung, dem Transport, der Speicherung, der Nutzung. Dies war die weltweit größte Konferenz ihrer Art, und sie fand absichtlich am Earth Day statt. Sie brachte all jene zusammen, die nicht nur um die Bedeutung der Energie wussten, sondern zugleich davon überzeugt waren, dass man auf diesem Gebiet neue und gänzlich andere Wege beschreiten musste.
Während Sommers durch die Gänge des futuristischen Kongresszentrums schlenderte – das erst vor etwa einem Monat eröffnet worden war —, klopfte sein Herz wie das eines Schuljungen beim Besuch der ersten Wissenschaftsausstellung. Ihm wurde fast schwindlig, weil er fortwährend von links nach rechts
sah, um sich ja keinen der Stände entgehen zu lassen. Es gab hier Wind- und Solarparkbetreiber, gemeinnützige Institutionen auf der Suche nach Geldgebern, um in entlegenen Regionen der Dritten Welt eigenständige kleine Stromnetze zu errichten, geothermische Forschungsprojekte und kleinere Hersteller oder Anbieter von Solaranlagen, Schwungrädern,
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