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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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angeschlossen. Die sind im Erdgeschoss. Wenn Sie reinkommen, rechts.«
    »Frag ihn, ob die Leitung unter Strom stand, als der Täter daran gearbeitet hat«, erklang Rhymes Stimme in ihrem Ohr. »Das verrät uns etwas über seine Fähigkeiten.« Sie gab die Frage weiter.
    »Na klar, er hat sich in eine heiße Leitung eingeklinkt.«
    Sachs war schockiert. »Wie war das möglich?«
    »Er hat PSK getragen – persönliche Schutzkleidung. Und außerdem darauf geachtet, dass er verdammt gut isoliert war.«
    »Ich habe noch eine Frage«, fügte Rhyme hinzu. »Erkundige dich, wie er seine Arbeit geregelt kriegt, wenn er so viel Zeit damit verbringt, Frauenbrüste anzustarren.«

    Sie schaffte es, nicht zu lächeln.
    Doch als sie auf den Eingang zusteuerte und dabei auf mehrere der geschmolzenen Metalltropfen trat, verschwand jeder Anflug von Belustigung. Amelia drehte sich zu dem Gebietsleiter um. »Nur um noch mal sicherzugehen – der Strom ist aus, ja?« Sie wies auf das Umspannwerk. »Die Leitungen sind tot. «
    »Aber ja.«
    Sachs wandte sich von ihm ab.
    »Abgesehen von den Batterien«, fügte er hinzu.
    »Batterien?« Sie hielt inne und sah ihn wieder an.
    »Damit werden die Trenner betrieben«, erklärte der Gebietsleiter. »Aber sie gehören nicht zum Netz und dürften auch nicht mit dem Kabel verbunden sein.«
    »Okay. Diese Batterien, könnten die gefährlich werden?« Sie sah immer wieder die vielen Löcher im Leichnam des Fahrgasts vor sich.
    »Ja, durchaus.« Es war offenbar eine recht naive Frage. »Aber die Pole sind durch Isolierkappen geschützt.«
    Sachs drehte sich um und ging weiter. »Ich betrete jetzt das Gebäude, Rhyme.«
    Ihr fiel auf, dass der Innenraum im Licht der starken Scheinwerfer aus irgendeinem Grund noch bedrohlicher wirkte als zuvor in der Dunkelheit.
    Die Pforte zur Hölle, dachte sie.
    »Ich werde seekrank, Sachs. Was machst du da?«
    Ihr wurde klar, dass sie zögerte, sich hektisch umblickte und nur noch an die klaffende Türöffnung denken konnte. Und sie kratzte zwanghaft an der Nagelhaut ihres Daumens herum, aber das konnte Rhyme nicht sehen. Mitunter kratzte sie sich dabei sogar blutig, was sie jedes Mal wieder neu überraschte. Das war schon schlimm genug, aber sie wollte jetzt auf keinen Fall ihren Latexhandschuh beschädigen und den Tatort mit eigenen
Spuren verunreinigen. Sie riss sich zusammen. »Ich schaue mich nur um.«
    Doch sie kannten einander zu lange, als dass er nicht bemerkt hätte, wenn sie versuchte, etwas herunterzuspielen. »Was ist los?«, fragte er.
    Sachs atmete tief durch. »Ich muss sagen, mir ist ein wenig unwohl«, gestand sie schließlich. »Dieser Lichtbogen. Die Art, wie das Opfer umgekommen ist. Das war ziemlich übel.«
    »Möchtest du lieber warten? Zieh ein paar Experten der Algonquin hinzu. Die können dir alles Schritt für Schritt erklären. «
    Sie hörte an seiner Stimme, dem Tonfall, der Sprechgeschwindigkeit, dass er das eigentlich nicht wollte. Es war eines der Dinge, die sie an ihm liebte – dass er ihr Respekt erwies, indem er sie nicht verhätschelte. Zu Hause, beim Essen, im Bett waren sie eins. Hier waren sie Kriminalist und Beamtin vor Ort.
    Sie rief sich ihr persönliches Mantra ins Gedächtnis, das sie von ihrem Vater übernommen hatte: »Wenn du in Schwung bist, kriegt dich keiner.«
    Also los.
    »Nein, es geht schon.« Amelia Sachs betrat die Hölle.

… Acht
    »Kannst du gut sehen?«
    »Ja«, sagte Rhyme.
    Sachs hatte die kleine, aber leuchtstarke Halogenlampe an ihrem Stirnband eingeschaltet, sodass nun ein starker Lichtstrahl das Halbdunkel durchschnitt. Ungeachtet der Scheinwerfer am Eingang gab es hier zahlreiche düstere Ecken und Winkel. Das Umspannwerk wirkte von innen wie eine Höhle. Vom Gehweg aus hatte es kleiner und schmaler ausgesehen, wahrscheinlich wegen der Hochhäuser zu beiden Seiten.
    Amelias Augen und Nase brannten von den Resten des Rauches. Rhyme bestand darauf, dass bei der Untersuchung eines Tatorts alle Sinne einbezogen wurden; Gerüche konnten viel über den Täter und die Art des Verbrechens verraten. Hier jedoch stank es lediglich nach einer Mischung aus verbranntem Gummi, Metall und Öl. Sachs fühlte sich an den Geruch eines Automotors erinnert. Sie musste daran denken, wie sie und ihr Vater sonntagnachmittags mit schmerzenden Rücken über den offenen Motorraum eines Chevy oder Dodge gebeugt gestanden hatten, um die mechanischen Nerven- und Gefäßsysteme des Muscle Cars wieder zum Leben zu

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