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Opfermal

Opfermal

Titel: Opfermal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Funaro
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1.00 Uhr in die Hinrichtungskammer geführt. Er war dünner geworden, seit ihn Markham zuletzt gesehen hatte, kahler auch, trug sein Haar aber immer noch als Bürstenschnitt. Markham dachte, dass Stokes aufrichtig seinen Frieden geschlossen zu haben schien, dass er glücklich zu sein schien, »den Eltern der Dame endlich Genugtuung zu verschaffen«, wie er in seiner letzten Erklärung am Nachmittag gesagt hatte.
    Markham schloss die Augen, und als er sie wieder öffnete, wurde Stokes gerade in seinem Stuhl festgeschnallt. Seine Uhr verriet ihm, dass es nahezu eine Viertelstunde gedauert hatte, das primitive Schwein für seine Spritze vorzubereiten.
    Zuerst war Stokes wach und munter. Er sprach mit den Bediensteten und schien einmal sogar kurz zu lachen. Markham konnte nicht hören, was sie sagten, aber er spürte nichts, als er die Szene vor seinen Augen wie ein Wissenschaftler abheftete. Nach einer Weile jedoch schien Stokes distanziert und traurig zu werden und drehte den Kopf zu dem Fenster auf seiner Rechten. Und als die Drogen schließlich zu wirken begannen, formte er die Worte »Ich liebe dich« zu jenem Fenster – und seiner Mutter dahinter, wie Markham annahm.
    Aber noch immer fühlte Markham nichts. Er konnte seine Schwiegermutter irgendwo links von sich leise weinen hören, war aber nicht im Mindesten geneigt, zu ihr zu sehen. Stattdessen starrte er in die Hinrichtungskammer und ging im Kopf die Formel für die tödliche Injektion durch – Sodium Pentothal, Pancuroniumbromid, Kaliumchlorid …
    Dann schloss Stokes die Augen, und Markham beugte sich vor und sah, wie sich die Brust des kräftigen Mannes hob und senkte, erst langsam, dann sehr viel schneller, als es zu Ende ging. Markham las nicht auf der Uhr ab, wie lange es dauerte, bis alles aufhörte, sondern starrte nur schweigend einige Minuten vor sich hin, bis die Vorhänge zugezogen wurden.
    Elmer Stokes, der lächelnde Shanty-Sänger, wurde um 1.34 Uhr für tot erklärt. Fast elf Jahre hatte es bis zu diesem Tag gedauert, wie Markham hinterher bewusst werden sollte, aber nur vierunddreißig Minuten, bis letzten Endes alles vorbei war.
    Es war vorbei, aber es fühlte sich an wie zuvor.
    Damit hatte er gerechnet, doch was er nicht erwartet hatte, war der bohrende Neid auf Elmer Stokes, den er plötzlich empfand.
    Sam Markham wollte ebenfalls schlafen. Schlafen und die Vorhänge nicht zurückziehen, bis er sicher war, dass seine Frau auf der anderen Seite auf ihn wartete.
    57
    Cindy Smith streckte den Arm aus und tastete ins Leere. Ihr Kopf tat weh, ihre Kehle war ausgetrocknet, und einen Moment lang hatte sie keine Ahnung, wo sie sich befand. Sie richtete sich abrupt auf und sah das Notlicht auf der Bühne unter ihr. Die Schatten, die von der einzelnen Birne erzeugt wurde, liefen wie Gitterstäbe über ihren Körper. Sie saß einen Moment da und dachte nach, und die Erinnerung kam tröpfchenweise wie aus einem undichten Wasserhahn zurück.
    Sie befand sich im zweiten Rang der Kulisse für Macbeth , hinter dem Geländer auf der rechten Bühnenseite. Richtig. Sie und Edmund waren nach den Küssen auf dem Parkplatz hier heraufgekommen. Aber wo war er? Cindy sah sich um und fand ihre Handtasche neben sich. Sie holte ihr Handy heraus. 3.42 Uhr.
    »Du lieber Himmel«, seufzte sie und schloss die Augen.
    Es war ihre Idee gewesen, fiel ihr plötzlich schuldbewusst ein – sie war es gewesen, die Edmund gebeten hatte, das Theater aufzusperren, damit sie ein wenig ungestört sein konnten und keine anderen Studenten sie auf dem Heimweg von der Party womöglich auf dem Parkplatz entdeckten.
    Die Party , sagte sie zu sich selbst. Es hatte eine Schlägerei auf der Party gegeben.
    Aber das kümmerte sie nicht, stattdessen spulte sie vor zu der Erinnerung, wie Edmund sie die Treppe heraufgeführt hatte – der Umriss seines muskulösen Rückens hatte gespenstisch blau im schwachen Schein des Bühnennotlichts geleuchtet. Dann waren sie zusammen und betatschten einander in der Dunkelheit – ihr Rücken auf der harten Plattform, die Wärme seiner Haut, der saure Geruch der Bühnenfarbe ringsum. Sie war betrunken gewesen, aber sie hatte ihn nicht deshalb gewollt. Selbst jetzt war ihr das noch klar, aber sie hatte es merkwürdig gefunden, dass Edmund sein Hemd nicht auszog, als sie seinen Ständer zwischen ihren Beinen fühlte.
    Plötzlich war Edmund erstarrt, hatte ihr etwas ins Ohr geflüstert, das wie der Rest egal klang, und war von ihr geglitten. Cindy

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