Opfermal
putzte. Dann zog er eine benutzte kurze Sporthose an, die er auf dem Badezimmerboden fand. Er hatte sich gerade den Mund ausgespült, als er hörte, wie die Eingangstür aufging und wieder geschlossen wurde.
»Setz dich schon mal«, rief er. »Ich bin gleich da.« Er spritzte sich Wasser ins Gesicht, trocknete sich ab und richtete seine Frisur im Spiegel.
Jawohl – Bradley Cox war fertig.
»Tut mir leid«, sagte er, als er das Badezimmer verließ, »ich war noch ziemlich …«
Cox erstarrte, als er den Mann in der Skimaske vor sich sah. Er wollte schreien, aber der übel riechende Stofffetzen in seinem Gesicht brachte ihn sofort zum Schweigen.
70
Markham setzte sich an das Grab seiner Frau und begann zu weinen. Die Gefühlsregung überkam ihn ohne Vorwarnung und erschreckte ihn mit ihrer Heftigkeit, aber bald ließ er es geschehen und weinte, bis es vorbei war.
Er wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und holte tief Luft, dann sah er sich um und versuchte, sich vorzustellen, dass Michelle hier bei ihm saß. Der Friedhof von Elm Grove war einer ihrer Lieblingsplätze gewesen, ein makellos angelegter Landschaftspark am Mystic River, keinen Kilometer vom Aquarium entfernt. Sie waren am Sonntagmorgen oft hier spazieren gegangen, hatten an einem kühlen, aber sonnigen Sonntag sogar einmal ein Picknick am Wasser gemacht – ein wenig morbid, darin waren sie sich einig gewesen, aber sie hatten sich mit dem Wissen getröstet, dass sie ihre viktorianischen Vorfahren nachahmten, deren Sonntagsausflüge ebenfalls häufig einen Spaziergang auf dem örtlichen Friedhof einschlossen.
»Ich kenne den Mann von damals nicht mehr«, sagte er. »Wahrscheinlich liegt er hier mit dir begraben. Das Verrückte dabei ist, ich schaue zurück, und ich mag ihn nicht; ich sehne mich nicht nach ihm – sehe ihn eigentlich nicht mehr richtig. Von damals bist nur du geblieben – zwar noch heil, aber mit diesen Bruchstücken eines Schattens, der wohl ich bin. Ich glaube, das macht es jetzt so schwer. Es kommt mir in letzter Zeit mehr und mehr so vor, als versuchten meine Schattenreste, dich ebenfalls zu einem Schatten zu machen.«
Du denkst zu viel, hörte er seine Frau sagen. Du wirst mich immer vermissen, aber die Art des Vermissens wird sich ändern, so wie du dich änderst. Was dich stört, ist das Klischee, dass alles bleiben muss, wie es ist.
»Ja«, sagte Markham. »Ich dachte wohl, mein Wissen um das Klischee, der Plan, zum FBI zu gehen, um den Tod meiner Frau zu rächen, würde etwas am Leben halten – dich vielleicht. Himmel, ich weiß es nicht mehr. Es ist jetzt alles eins im Halbdunkel, etwas ist verloren gegangen, bei meiner Arbeit, bei allem, was ich tue. Gates hat mich darauf angesprochen, bei mir zu Hause in Quantico. Es fehlte nicht viel, und er hätte mich als bloße Hülle eines Mannes bezeichnet. Er hat es nur etwas feinfühliger ausgedrückt: Dass ich mich ausschließlich über meine Arbeit definieren würde.«
Es ist das Klischee, wiederholte Michelle. Verbunden mit dem fruchtlosen Wissen darum, dass uns nichts davon näher zusammenbringen wird. Lass es los. Klischees sind deshalb welche, weil sie stimmen. Hör auf, immer so schlau zu sein.
»Ich glaube, die neue Bude würde dir nicht gefallen«, sagte Markham und lächelte. »Parkettboden, ja, aber der Rest ist ziemlich von der Stange. Keine Wandvertäfelungen oder Einbauschränke, nichts vom Charakter der alten Wohnung. Ein hübscher Teich hinter dem Haus allerdings. Viele Enten. Du würdest sie mögen.«
Lass es los.
Markham blieb noch einen Moment sitzen und lauschte dem Wind, dann fragte er: »Hätten Sie Lust auf einen Spaziergang am Fluss, Madame?«
Mit Vergnügen, antwortete Michelle.
Er stand auf und machte sich auf den Weg zum Wasser, als plötzlich sein Blackberry in der Tasche läutete. Eine E-Mail von Schaap.
Glauben Sie, das hat was mit unserm Mann zu tun?
Das war der gesamte Text, aber ein Link war angefügt. Markham klickte ihn an – ein Artikel aus der Raleigh Sun von Dienstag, 1. November 2005.
Halloween-Diebstahl beim Tierpräparator
Von unserem Redaktionsmitglied Jonathan Vaughn
DURHAM . Möglicherweise wollte sich jemand an Halloween unbedingt als Löwe verkleiden, sagt die Polizei von Durham, die gerade den Einbruch in Rowleys Tierpräparation untersucht.
Laut Detective Charles Gray, dem Leiter der Ermittlung, fand der Raub kurz nach 3.00 Uhr nachts statt. »Die Diebe wussten genau, was sie wollten«, sagte Gray.
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