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Opfermal

Opfermal

Titel: Opfermal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Funaro
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einfach abgehauen.«
    »Du lieber Himmel«, murmelte Kiernan, und in seinem Kopf drehte sich alles. Sicher, dachte er, Cox war eine kleine Schlange – und ein bisschen ein Weichei dazu –, aber sie nach einer wackligen Vorstellung alle im Stich lassen? Das konnte er nicht glauben.
    »Wir haben die Polizei gerufen«, fuhr der Bühnenassistent fort. »Sie sagen, unter diesen Umständen können sie erst etwas unternehmen, wenn er vierundzwanzig Stunden lang verschwunden ist. Und dann muss ein Angehöriger …«
    »Schon gut, schon gut«, sagte Kiernan. »Sagen Sie dem Ensemble, ich übernehme für ihn, mit dem Text in der Hand – nein, sagen Sie ihnen, wir treffen uns alle links hinter der Bühne. Ich sage es ihnen selbst. Unterrichten Sie außerdem alle davon, dass ich vor Beginn der Vorstellung eine kurze Ansprache auf der Bühne halte. Wenn ich damit fertig bin, sollen sie alles so wie immer machen.«
    Der Bühnenassistent stand nur verängstigt da.
    »Keine Sorge«, sagte Kiernan und blinzelte. »Wir kriegen das schon hin.«
    Der Assistent nickte und eilte davon.
    Kiernan holte noch einmal tief Luft und bat die Kostümbildnerin, ihn allein zu lassen. Sie ging hinaus, und der Regisseur setzte sich an den Schminktisch und blätterte geistesabwesend in dem Skript, das ihm Cindy Smith gegeben hatte. Sie hatte bereits alle Textpassagen von Cox in die Szenen mit Lady Macbeth hineingeschrieben, und Kiernan hoffte, sich an den Rest aus seinem eigenen Soufflierbuch zu erinnern, das zu schwer und zu unhandlich war, um es auf der Bühne mit sich herumzutragen.
    Er studierte sein Gesicht im Spiegel – spürte, wie sein Atem ruhiger wurde und sein Puls langsamer. Und als die Ankündigung des Bühnenmeisters über die Sprechanlage kam, verließ der Regisseur ruhig Bradley Cox’ Garderobe und trat wie ein General in der Seitenkulisse vor sein Ensemble.
    72
    Cindy hielt Edmund Lamberts Hand, während Kiernan den Schlachtplan für die Matinee darlegte. Cox’ Fehlen hatte sie nervös gemacht, gleichzeitig war sie mehr als begeistert, Edmund so nahe zu sein – zumal er bereits vor ihrer Garderobe auf sie gewartet hatte, als sie im Theater eintraf. Sie hatten nur kurz miteinander gesprochen, aber sich lange genug geküsst, damit sie wusste, dass alles wieder in Ordnung war.
    »Jetzt musst du dich konzentrieren«, hatte er gesagt und sich von ihr gelöst. »Aber ich werde zuschauen.«
    Es würde die beste Aufführung bisher werden, hatte sich Cindy vorgenommen und war entzückt, wenn sie daran dachte, wie Edmund sie angesehen hatte.
    Aber als er sie jetzt ansah, wirkte er aufgebracht. Und er schaute ständig auf seinen Blackberry, während Kiernan aufmunternde Worte über Konzentration und Teamwork sagte.
    »Ich dachte, er würde die Vorstellung absagen«, murmelte Edmund, als Kiernan vor den Vorhang trat, um sich an das Publikum zu wenden. »Oder zumindest den Fototermin.«
    Er wirkte tatsächlich enttäuscht, dachte Cindy.
    »Nicht George Kiernan«, sagte sie. »The show must go on. Werde bloß nicht eifersüchtig an der Stelle, wo Macbeth mich zu küssen versucht, okay? Auch wenn es George Kiernan ist, werde ich nach Kräften widerstehen.«
    Edmund lächelte dünn. Cindy küsste ihn und lief dann an ihren Platz für die Eröffnungsszene – eine alberne Szene, wie Cindy immer gefunden hatte, in der der Regisseur die Hexen alle handelnden Personen wie Figuren auf einem Schachbrett aufstellen ließ. Edmund fand die Szene ebenfalls idiotisch, wie sie auf der Party in Erfahrung gebracht hatte – nur eine der vielen Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. »Eine solche Szene nimmt Macbeth das eigene Schicksal aus den Händen«, hatte er gesagt. »Wenn er die Botschaften nur richtig gelesen hätte, wäre die ganze Geschichte nicht so schlecht für ihn ausgegangen.«
    Aus irgendeinem Grund hatte es sie angemacht, so mit Edmund zu reden.
    Nach Beendigung seiner Ansprache trat Kiernan zurück in die Seitenkulisse und nahm seinen Platz mit dem restlichen Ensemble ein – direkt gegenüber von Cindy auf der anderen Bühnenseite. Er zeigte ihr den erhobenen Daumen, und sie erwiderte die Geste. Das Publikum murmelte noch, als die Musik einsetzte und die Lichter gedimmt wurden. Cindy erschien die Luft elektrisch geladen, und sie glaubte, jeden Moment vor Aufregung zu bersten. Ja, dachte sie, auf eine perverse Art fand sie es ungeheuer spannend, dass all das passierte.
    »Beschissen, die Sache mit Bradley«, flüsterte der Darsteller des

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