Opfermal
warum er leicht stolperte, als er von der Straße aufblickte, weil er spürte, dass der Wagen hinter ihm langsamer wurde. Die verdammten ollen faktorischen Nerven.
»Brauchen Sie eine Mitfahrgelegenheit?«, fragte der Fahrer. Er ließ das Beifahrerfenster herunter, aber Hank konnte sein Gesicht im Dunkeln nicht erkennen. Ein betagter Chevy Transporter, das Armaturenbrett war nicht sehr beleuchtet. »Ich bin auf dem Weg zur Interstate, wenn Sie mitfahren wollen.«
»Na und ob ich das will«, sagte Hank und näherte sich der Tür. »Das ist wirklich nett von Ihnen, Mister.« Er konnte das Gesicht des Mannes jetzt deutlicher sehen – ein junger Typ, Mitte zwanzig und ganz nett gebaut, den Unterarmen am Lenkrad nach zu schließen. Sprach auch mit einem schweren Südstaatenakzent – ein guter, typisch amerikanischer Junge, wie es aussah.
Er zog am Türgriff.
»Die Beifahrertür funktioniert nicht«, sagte der Junge. »Sie müssen hinten rein.«
»Alles klar.«
Vielleicht hatte der Schnaps im Lauf der Jahre seine Instinkte betäubt, vielleicht war er zu lange domestiziert gewesen, aber Hank Biehn stellte sein Glück keinen Moment infrage, während er zum Heck des Wagens lief.
»Es ist offen«, rief der Junge, und Hank öffnete die Hecktür. »Lassen Sie Ihre Sachen einfach hinten drin und klettern Sie zu mir nach vorn. Brauchen Sie Hilfe?«
»Nein, nein, geht schon«, sagte Hank und hievte seine Tasche in den Wagen. Dann kletterte er selbst hinein und war überrascht, dass das Heck des Transporters vollkommen leer war – nur das gerillte Bodenblech und die nackten Außenwände.
Was Hank Biehn jedoch nicht bemerkte, war der starke Geruch von Pine-Sol und die feine, aber greifbare Ausdünstung von verwestem Fleisch darunter.
Nein, dafür waren seine ollen faktorischen Nerven einfach zu kaputt.
Was für ein guter Junge, sagte sich Hank. Und ich dachte gerade noch, wie beschissen die Welt geworden ist. Hank, alter Junge, dein Glück kommt zurück!
»Sie müssen die Tür richtig fest zuziehen«, sagte der Junge. »Das Schloss funktioniert nicht mehr richtig. Verdammte alte Karre.«
»Verstanden«, sagte Hank. Er war jetzt auf allen vieren mit dem Rücken zum Fahrer und zog die Tür zu. Sie schien einwandfrei einzuschnappen. Doch als er sich wieder umdrehte, stieß er einen erschrockenen Schrei aus, weil der Fahrer fast über ihm war.
»Was zum …?«
»Dein Körper ist der Eingang«, sagte der Junge.
Dann hob er seine Waffe und feuerte.
12
Als Sam Markham am Montagmorgen ins Büro kam, fühlte er sich müde und hoffnungslos – wie ein Hund, der seit Tagen den eigenen Schwanz jagt. Er verabscheute diesen Ort inzwischen – eng, nackt, ohne Fenster und mit einer einzigen Neonröhre, die unregelmäßig über seinem Kopf flackerte. Er dachte an das Schild über seiner Schlafzimmertür zu Hause und fand es schade, dass er es nicht mitgebracht hatte, damit er es hier über seine eigene private Hölle hängen konnte.
Markham setzte sich an seinen Schreibtisch und machte den Computer an, dann trank er einen Schluck Kaffee und ging in Gedanken die letzten vier Tage durch. Es kam ihm alles verschwommen vor, ein Mischmasch aus Sackgassen und Frust. Keine seiner Spuren hatte zu etwas geführt – die Gespräche mit den Angehörigen, die Nachforschungen im Internet und in der Bibliothek, die Verbindungen zwischen den Opfern, zum Islam, zum Mond, wie ihn die Opfer sahen. Die forensische Analyse erwies sich ebenfalls als Schlag ins Wasser – keine Spuren zu den Materialien, nichts Neues via Donovan. Aber am schlimmsten war, dass das FB I -Labor nichts an Rodriguez gefunden hatte, keinerlei Schrift, nirgendwo an ihm. Damit hatte Markham nicht gerechnet.
Rodriguez sollte irgendwann im Lauf des Tages erneut begraben werden, und Donovans Beerdigung war offiziell auf Samstag angesetzt worden. Am selben Tag wie Elmer Stokes Hinrichtung.
Als sein Computer bereit war, seufzte Markham und loggte sich in Sentinel ein, der neuesten Version der Fall-Management-Datenbank des FBI . Das Sentinel-System war noch nicht einmal ein Jahr in Betrieb, und Markham musste zugeben, dass es besser war als das alte Trilogy-System – oder »Tragedy System«, wie es die Special Agents zu nennen pflegten –, aber er hielt es immer noch für ein nicht vertrauenswürdiges logistisches Ärgernis.
Markham wählte sich in die Sentinel-Datei über Vlad ein. Ein Agent vom National Center for the Analysis of Violent Crime – NCAVC –
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