Opfermal
ihrer Garderobe nach Edmund suchte. Er war nicht da. Und als Amy Pratt sie aufforderte, mit dem Rest des Ensembles auf ein Bier in die Stadt mitzukommen, lehnte sie höflich ab und fuhr nach Hause, und sie fühlte sich so allein, wie schon lange nicht mehr.
Sie lag bis tief in die Nacht wach, hin- und hergerissen zwischen ihrer Begeisterung, der Befriedigung über ihre bravouröse Leistung und dem leeren Gefühl der Enttäuschung, weil Edmund Lambert nicht ins Theater zurückgekehrt war, nachdem sie ihn gehen sah. Sie war verknallt in ihn. Schwer verknallt. Und dass ihr bewusst war, welche tiefe Auswirkung seine Abwesenheit auf sie hatte, machte alles nur noch schlimmer.
Hatte sie seine Signale missverstanden? War sie mit der Rose zu sehr in die Offensive gegangen? Vielleicht überreagierte sie ja auch – benahm sich »melodramatisch«, wie ihre Mutter sagen würde. Immerhin musste es eine ganz einfache Erklärung geben, oder nicht?
Nichtsdestoweniger fühlte Cindy immer noch den Stromkreislauf, den sie mit ihm geschlossen hatte, leise unter ihren Gedanken summen. Und einmal mehr fand sie sich vor ihrem Computer wieder. Sie hielt sich nicht mit ihrer Facebook-Seite auf, sondern ging stattdessen direkt zu Google Earth und tippte die Adresse ein, die sie im Verzeichnis der Universität gefunden hatte. Einige weitere Klicks, und Cindy zoomte in der Satellitenaufnahme so nahe heran, wie es ging. Sie ging mit Plus und Minus vor und zurück, bis sie zufrieden war, aber immer noch war das Bild grobkörnig und unscharf – ein verschwommenes weißes Rechteck am Ende einer langen Staubpiste. Einige kleinere Rechtecke, umgeben von Baumgruppen und Flecken grüner Landwirtschaftsflächen.
Spontan ging Cindy auf »Route berechnen«, tippte ihre eigene Adresse ein und stellte fest, dass es etwa fünfunddreißig Minuten dauern würde, um dort hinzukommen.
»Eine einfache Erklärung«, flüsterte sie. »Vielleicht musstest du wegen irgendetwas nach Hause fahren. Eine kranke Mutter, vielleicht, allein da draußen auf deiner Farm.«
Selber kranke Mutter, meldete sich eine Stimme in ihrem Kopf. Eine verdammte Stalkerin bist du, wenn du mich fragst.
Cindy seufzte und klickte auf das maximale Zoom; dann saß sie da, starrte lange auf das Haus und fragte sich, ob vielleicht, nur vielleicht, Edmund Lambert ebenfalls vor seinem Computer saß und auf ihr Haus zoomte.
»Die Party«, sagte sie. »Ich werde es genau wissen, wenn du zu der Party kommst.«
Oder vielleicht kannst du ihm eines Tages einfach einen Besuch abstatten auf seinem kleinen Bauernhof, und ihr feiert eure eigene Party.
Cindy lächelte.
Das klingt nach etwas, das Amy Pratt sagen würde, antwortete sie sich selbst und ging zurück ins Bett. Dabei überlegte sie, ob die rothaarige Schlampe vielleicht gar nicht so unrecht hatte.
35
Freitag, 14. April, 9.00 Uhr, FB I -Außenbüro Raleigh
Eine dringliche Telefonkonferenz, einberufen von Alan Gates persönlich.
Sam Markham war müde und starrte mit dem Kopf in den Händen in seine Unterlagen. Der Besprechungsraum im Außenbüro war klein, und fast zwei Dutzend Agents drängten sich um einen schmalen Eichentisch. Sie sahen ihn jetzt schon misstrauisch an, und ihre Botschaft war laut und deutlich: » Das Ganze ist den Aufwand hoffentlich wert, du Quantico-Fritze.«
Aber Markham kümmerte es nicht. Er vertraute darauf, dass er ein gutes Blatt in den Händen hielt, zugleich hatte er Schuldgefühle, weil er Schaap nicht sagte, dass es Marla Rodriguez gewesen war, die eine Tür in dem Fall aufgestoßen hatte. Nichtsdestoweniger würde er sein Versprechen ihr gegenüber halten. Das wenigstens war er ihr schuldig.
»Brauchen Sie etwas, Sam?«, fragte Schaap, der neben ihm saß.
»Nein, danke.«
»Ich komme mir immer noch vor wie in Twilight Zone. Haben Sie noch mal etwas von Underhill gehört?«
»Nicht seit unserem Gespräch mit ihm gestern. Er sagte, er würde heute Morgen mit Gates mitlaufen.«
»Er muss inzwischen kurz vor der Pensionierung sein, oder?«
»Hoffentlich nicht«, sagte Markham. »Er ist der beste forensische Psychiater weit und breit. Lehrt immer noch an der Georgetown University. Entwicklungspsychologie, Persönlichkeitsstörungen. In dieser Hinsicht ähnelt er sehr Gates. Sie werden ihn gewaltsam aus dem Amt entfernen müssen.«
»Alles ist bereit«, sagte ein Agent und händigte Schaap die Fernbedienung aus. Schaap drückte auf einen Knopf, und auf dem großen Telekonferenzschirm erschien
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